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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 1. Abhandlung): Rechtssprachgeographie — Heidelberg, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.38921#0023
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Rechtssprachgeographie.

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eine Regierungsverfügung verboten und durch Geldstrafe ersetzt29.
Freilich wird es wohl schon früher als veraltet empfunden worden
sein. Die Umgangssprache richtet sich gewiß nicht sofort nach dem
amtlichen Verbot; aber nach und nach wirkt sich ein solcher Ein-
griff in das Sprachleben doch aus. Unter Umständen kann behörd-
liche Sprachpflege geradezu grotesk sein: im Königreich Westfalen
wurde in den Kanzleien der Gebrauch des Wortes Kotsasse unter-
sagt, weil es bedeute 'un komme qui est assis sur la boue und dieser
Ausdruck die Menschenwürde herabsetze30.
Sehr deutlich sieht man auch das Herabsinken und Entwertet-
werden der Wörter in der Rechtssprache. Die besten Reispiele
aus diesem Lebenskreise sind wohl Herr und Knecht. Bisweilen
wird die Entwertung durch die Rechtsordnung beschleunigt, ja
gewollt. Die Rechtsordnung trägt dazu bei, ein Wort verschwinden
zu machen, wenn es in Gesetzen, Verordnungen usw., im Rechts-
leben überhaupt, nicht mehr gebraucht wird oder sogar seine An-
wendung verboten wird31. Verpönt sind Rechtswörter oft dann,
wenn sie ein abgeschafftes Rechtsverhältnis bezeichnen, wenn sie
unliebsam an einen früheren Rechtszustand erinnern und darum
als gefährlich empfunden werden. Man befürchtet, daß das über-
lebende Wort aus der alten Rechtsordnung etwa das Wieder-
aufleben vergangenen Rechtes verursachen oder doch fördern
könne. Beispiele dafür sind leibeigen32, Untertan, Landeskind usw.
So scheiterte33 im Jahre 1869 ein preußisches Gesetz an der Frage,
ob darin von preußischen Untertanen oder von Preußen gesprochen
werden sollte. Das Herrenhaus wollte Untertan, das Abgeordneten-
haus lehnte ab. — Der erste Salpetererkrieg im Schwarzwald
(1727—28) brach aus, weil die Salpeterer dem Abte von St. Blasien
nicht huldigen wollten, solange nicht das Wort eigen aus der Eid-
formel gestrichen sei34. Als man zu Beginn des 19. Jahrhunderts
die Lage der livländisclien Bauern zu bessern trachtete, war eine
wichtige Forderung, daß der Ausdruck Erbmensch nicht mehr ver-
wendet werden dürfe35.
29 Schleswig-holsteinisches Wörterbuch I, 534.
30 Scherr, Blücher II, 363.
31 Vgl. das Beispiel brüche auf voriger Seite.
32 Über die Verhaßtheit des Ausdrucks Leibeigenschaft vgl. z. B. Beschrei-
bung des Oberamts Riedlingen2, 372, 750.
33 Preuß. Jahrbücher 23 (1869), 373.
34 Ilist. Ztschr. 130 (1924), 197.
35 Transehe-Roseneck, Die Reform der bäuerlichen Verhältnisse in
Livland 1765—1804 (Straßburger Dissertation, 1890), S. 54.
 
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