Rechtssprachgeographie.
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spräche, ja seihst die Sprache der Gesetze, nicht frei bleiben von
mundartlichem Einschlag.
Kretschmer unterscheidet in seiner Wortgeographie drei
Stufen der gebildeten Umgangssprache: 1. die im öffentlichen
Leben gebrauchte Vortragssprache, Öffentlichkeitssprache; 2. die
Verkehrssprache im Gesellschafts- und Geschäftsverkehr; 3. die
Familiensprache. Für die Rechtssprache kommen die beiden ersten
Stufen in Betracht. Der Ungebildete wird die Schriftsprache über-
haupt nicht vollkommen beherrschen. Und nur in feierlicher Rede
oder besser gesagt bei feierlichem Anlaß, in befangener unfreier
Rede sich bemühen, Schriftdeutsch zu sprechen. Doch auch die
Rechtssprache des Gebildeten ist allermeist eine gehobene; we-
niger unbefangen als die gewöhnliche Umgangssprache und der
Schriftsprache näher.
Entscheidend fällt dabei ins Gewicht die Landessitte. In
Württemberg ist die mundartliche Sprechweise so allgemein und
selbstverständlich, daß sie auch das Rechtslehen durchdringt. Hat
man doch dort für die Umgangssprache der Gebildeten die charak-
teristische Bezeichnung 'Honoratiorenschwäbisch’ geprägt. In der
Schweiz, wo der Abstand zwischen Schriftdeutsch und Umgangs-
sprache so sehr fühlbar ist, daß sie fast wie zwei verschiedene
Sprachen nebeneinander bestehen, wird die Mundart in der Haupt-
sache nur im privaten mündlichen Verkehr gebraucht, ohne jedoch
aus dem Bereich des öffentlichen Lebens, des großen oder kleinen
Rechtsverkehrs, ganz verbannt zu sein. Im Gegenteil! In Bern
wird im Großen Rat und vor Gericht Mundart gesprochen. Auch
anderwärts kann man vor Gericht, namentlich im Verkehr mit
Angeklagten und Zeugen Schweizerdeutsch hören; ebenso bei
Landsgemeinden, deren feierliche Eröffnungsrede durch den Land-
ammann allerdings hochdeutsch gehalten wird. Auch in vielen
Kantonratssitzungen herrscht die Mundart; ja, die Zwittersprache
zwischen hochdeutscher Schriftsprache und Schweizerdeutsch
nennt man Kantonratsdeutsch oder auch Großratsdeutsch.
Lenken wir aber unser Augenmerk auf die schriftliche Rechts-
sprache, auf Urkunden, Gesetze und Rechtsbücher, so müssen wir
der Mundart notwendig und selbstverständlich begegnen in Ur-
kunden aus Zeiten, da sich über den Mundarten noch keine Schrift-
sprache erhob. Doch auch nach dem Durchbruch der Schriftsprache
treffen wir allenthalben mundartliche Anklänge, die unbewußt
oder auch bewußt in den Text gekommen sind; aus größeren oder
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1926/27. l.Abh.
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spräche, ja seihst die Sprache der Gesetze, nicht frei bleiben von
mundartlichem Einschlag.
Kretschmer unterscheidet in seiner Wortgeographie drei
Stufen der gebildeten Umgangssprache: 1. die im öffentlichen
Leben gebrauchte Vortragssprache, Öffentlichkeitssprache; 2. die
Verkehrssprache im Gesellschafts- und Geschäftsverkehr; 3. die
Familiensprache. Für die Rechtssprache kommen die beiden ersten
Stufen in Betracht. Der Ungebildete wird die Schriftsprache über-
haupt nicht vollkommen beherrschen. Und nur in feierlicher Rede
oder besser gesagt bei feierlichem Anlaß, in befangener unfreier
Rede sich bemühen, Schriftdeutsch zu sprechen. Doch auch die
Rechtssprache des Gebildeten ist allermeist eine gehobene; we-
niger unbefangen als die gewöhnliche Umgangssprache und der
Schriftsprache näher.
Entscheidend fällt dabei ins Gewicht die Landessitte. In
Württemberg ist die mundartliche Sprechweise so allgemein und
selbstverständlich, daß sie auch das Rechtslehen durchdringt. Hat
man doch dort für die Umgangssprache der Gebildeten die charak-
teristische Bezeichnung 'Honoratiorenschwäbisch’ geprägt. In der
Schweiz, wo der Abstand zwischen Schriftdeutsch und Umgangs-
sprache so sehr fühlbar ist, daß sie fast wie zwei verschiedene
Sprachen nebeneinander bestehen, wird die Mundart in der Haupt-
sache nur im privaten mündlichen Verkehr gebraucht, ohne jedoch
aus dem Bereich des öffentlichen Lebens, des großen oder kleinen
Rechtsverkehrs, ganz verbannt zu sein. Im Gegenteil! In Bern
wird im Großen Rat und vor Gericht Mundart gesprochen. Auch
anderwärts kann man vor Gericht, namentlich im Verkehr mit
Angeklagten und Zeugen Schweizerdeutsch hören; ebenso bei
Landsgemeinden, deren feierliche Eröffnungsrede durch den Land-
ammann allerdings hochdeutsch gehalten wird. Auch in vielen
Kantonratssitzungen herrscht die Mundart; ja, die Zwittersprache
zwischen hochdeutscher Schriftsprache und Schweizerdeutsch
nennt man Kantonratsdeutsch oder auch Großratsdeutsch.
Lenken wir aber unser Augenmerk auf die schriftliche Rechts-
sprache, auf Urkunden, Gesetze und Rechtsbücher, so müssen wir
der Mundart notwendig und selbstverständlich begegnen in Ur-
kunden aus Zeiten, da sich über den Mundarten noch keine Schrift-
sprache erhob. Doch auch nach dem Durchbruch der Schriftsprache
treffen wir allenthalben mundartliche Anklänge, die unbewußt
oder auch bewußt in den Text gekommen sind; aus größeren oder
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1926/27. l.Abh.
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