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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 1. Abhandlung): Rechtssprachgeographie — Heidelberg, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.38921#0028
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Frh. v. Künssberg:

Homeyersehen Sachsenspiegelausgabe ansieht. Sehr lehrreich ist
auch eine Vergleichung des Sachsenspiegels mit dem Deutschen-
spiegel. Der Spiegel aller deutschen Leute wollte allgemeine Gel-
tung haben, ein gesamtdeutsches Rechtsbuch sein, und über-
arbeitete daher den Rechtsstoff. Er wurde aber nicht fertig und
hat im zweiten Teil dann einfach den Sachsenspiegel ins Ober-
deutsche, ins Bayrische übersetzt, und nun unterlaufen ihm reich-
lich Fehler und Entgleisungen44.
Durch die Übertragung eines Rechtstextes in eine andere
Mundart kommen in diese neuen Gebiete viele neue, bislang dort
ungebräuchliche Wörter. Daß sie nicht immer in den allgemeinen
Sprachschatz übergehen, lehren uns die Wörterbücher. So sind,
um nur ein einziges Beispiel anzuführen, im mittelniederländischen
Wörterbuch von Verwijs und Verdam eine ganze Reihe von
Wörtern zu finden, die dort nur aus dem holländischen Sachsen-
spiegel belegt sind; allein im Buchstaben v sind mir unter anderem
aufgefallen: vaenleen, vorstenl~en, vrouwengeraet, vluchtsale, voetelvos.
Uns interessieren aber nicht nur die Fälle, wo Übersetzungen
aus einer Mundart in die andere stattgefunden haben, sondern
auch die anderen Beispiele, in denen wörtliche Entlehnungen von
Rechtstexten vorliegen, sei es nun einer ganzen Kodifikation, eines
ganzen Gesetzes oder aber einzelne Abschnitte und Sätze. Es ist
ja bekannt, daß die Gesetzgeber viel mehr voneinander abschreiben
als die Kinder in der Schule. Auf getretenem Wege marschiert es
sich leichter und schneller. So werden namentlich in Zeiten, da
Gesetzgebung und Kodifikation im Schwange sind, fleißig Anleihen
gemacht bei näheren und entfernteren Nachbarn. Hiebei kommt
es wieder zu größerer oder geringerer Anpassung und Abänderung.
Wenn, wie das so leicht geschieht, mechanisch und gedankenlos
übernommen wird, sind Mißverständnisse und Fehler unausbleib-
lich. Da gab es z. B. zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Schorn-
dorf in Württemberg einen Ulrich Entenmaier, der Schriftführer
und Hauptagitator beim Aufstand des ,,Armen Konrad“ im Jahre
44 gerückte (Gerücht) wird mit geeichte übersetzt; Sachsensp. II, 28, 2
fischet he in diken, die gegraven sin wird wiedergegeben Vischet he dike (oft)
in dem wazzer. Das niederdeutsche weregeld wird einfach weggelassen oder
mit puzze übersetzt, da in Oberdeutschland im 13. Jahrhundert Wergeid
nicht mehr in Brauch war. Vgl. Pfalz, Die Überlieferung des Deutschen-
spiegels, 1919' (Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wiss. 191), S. 9ff. — Roethe,
Reimvorred’en des Sachsenspiegels, S. 71.
 
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