Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
34

Erster logischer Teil.

Wie aber soll der Logiker die Abtrennung des für das Wesen der
Wahrheit Unwesentlichen vornehmen, so lange er sich auf das be-
schränkt, was er beim Urteilen im eigenen Seelenleben vorfindet ?
Geht er mit solcher Seelenforschung nicht von vorneherein in die
Irre, falls sein Ziel eine Einsicht in das Wesen der Wahrheit
selbst ist ?
Logisch interessiert ihn dabei nicht sein individuelles Seelen-
leben, sondern das Wahre, das er mit andern Individuen gemein-
sam hat. Das fremde Seelenleben aber ist ihm direkt nicht zu-
gänglich. Er muß es aus irgend welchen anders woher gegebenen,
nämlich körperlichen Faktoren erschließen, und schon daraus
geht hervor, daß keine Logik bei dem Erforschen der Wahrheit als
eines überindividuellen Gebildes sich auf das Urteilen als ein psy-
chisches Sein im Leben der Individuen zu beschränken vermag.
Dementsprechend hat man denn auch oft den psychischen
Urteilsakt von dem getrennt, was man das „logische Urteil“ nannte.
Aber es ist dabei doch bisweilen recht unklar geblieben, worin man
das Wesen dieses logischen Gebildes im Unterschied vom seelischen
Akt des Urteilens finden wollte. Die Untersuchung des psychischen
Seins der Urteilsakte genügt zu einer Klarstellung dieser Art nicht.
Die Frage lautet ja: was ist das logische Urteil abgesehen vom
seelischen Urteilsakt ? Wie will man das Logische am Seelischen
finden ?
Ehe dieser Punkt nicht zur vollen Deutlichkeit gebracht ist,
kann man zu einer Entscheidung über das Wesen des logischen
„Urteils“ und damit über das Wesen des Wahren nicht kommen.
Ja so lange man die Urteilsakte in ihrer Eigenschaft, die sie als
psychische Vorgänge haben, noch als maßgend für die logische
Frage nach dem Wesen der wahren Erkenntnis ansieht, wird immer
ein Streit darüber möglich sein, was das „logische Urteil“ im Unter-
schied vom psychischen Urteilsakt eigentlich ist. Es bleibt denk-
bar, daß die verschiedenen Individuen sich mit völlig verschiedenen,
d. h. ihrem psychischen Sein nach verschiedenen, Urteilsakten der-
selben Wahrheit bemächtigen, und schon dieser Umstand macht
es empfehlenswert, von dem Seelenleben der Individuen beim Fest-
stellen des Wesens der Wahrheit, zunächst wenigstens, einmal völlig
abzusehen und den Blick allein auf die logische „Sache“, d. h. auf
das zu richten, was wir zwar mit den individuellen seelischen Akten
als Wahrheit in unseren Besitz bringen, was aber unabhängig von
ihnen sein muß, um den Namen Wahrheit zu verdienen.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften