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Erster logischer Teil.

bestehe, die durch den Urteilsakt nur aufeinander bezogen werden,
und dann sucht man festzustellen, ob es möglich ist, daß sich das
Urteil mit Rücksicht auf seinen Vorstellungsgehalt als „einfach“
begreifen lasse, oder ob nicht vielmehr mindestens zwei Vor-
stellungen notwendig seien, die aufeinander bezogen werden müssen,
damit man von einem wahren Urteil reden könne. Um unter dieser
Voraussetzung für die Einfachheit des Urteils einzutreten, kann
man dann mit Recht sagen, es sei nicht einzusehen, welchen Vorzug
es habe, anzunehmen, daß das Urteil aus zwei Vorstellungen und
nicht nur aus einer bestehe, denn wenn Vorstellungen überhaupt
zu erkennen vermögen, dann werde eventuell eine einzige Vor-
stellung dasselbe leisten wie zwei.
Dagegen läßt sich dann in der Tat nichts sagen, und so lange
wir bei der Frage nach Einfachheit oder Zweigliedrigkeit des
Wahren als eines logischen Gebildes die Entscheidung davon ab-
hängig machen, ob der seelische Akt des Urteilens eine einfache
Vorstellung sein könne oder sich aus mehreren Vorstellungen als
seinen Gliedern zusammensetzen müsse, werden wir zu einer über-
zeugenden Antwort niemals kommen. Ja gerade die Frage, ob
das sogenannte logische Urteil, d. h. das vom psychischen Sein des
Individuums unabhängige wahre Gebilde selbst einfach oder zu-
sammengesetzt ist, muß zunächst völlig ohne Rücksicht auf den
psychischen Akt des Urteilens und seine seelische Struktur ent-
schieden werden. Erst dann, wenn man die logische Struktur des
wahren Gebildes bereits kennt, lassen sich daraus vielleicht
Schlüsse ziehen, welche Struktur der Urteilsakt haben muß, um
sich der Wahrheit bemächtigen zu können. Vorher bleibt das un-
entscheidbar. So geht das logische Problem dem Problem des
Urteilsaktes voran. Mit dem Urteilsakt können wir jedenfalls die
Untersuchung nach dem Wesen des Wahren nicht beginnen.
Aber woran sollen wir uns dann halten, um irgend ein unmittel-
bar zugängliches Material zu haben, an dem wir das Wesen des
Wahren uns zum Bewußtsein bringen ? Die Wahrheit einer Er-
kenntnis besteht zwar gewiß für sich, aber sie muß doch, um uns
wissenschaftlich bekannt und zugänglich zu werden, an irgend
einem Teil der gegebenen Sinnenwelt aufzufinden sein. Wenn
die seelischen Urteilsakte der Individuen sich zu diesem Zweck
wegen ihrer Vielgestaltigkeit als unzuverlässig erweisen, welches
andere unmittelbar zugängliche Gebilde bleibt dann noch übrig,
in dem das Wahre sich so realisiert hat, daß es daran erforscht
werden kann ?
 
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