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II. Der Aussagesatz und die logische Synthese des Einen u. des Andern. 61
wir ein grammatisches Gebilde, das „sprachlich vollentwickelt“
eine theoretische Wahrheit trägt.
Verhält es sich vielleicht mit der logischen Bedeutung der
Copula ebenso, d. h. beruht auch im Sinngebilde ihre Funktion
darauf, daß sie Subjekt und Prädikat sowohl miteinander ver-
bindet als zugleich auseinander hält ?
Das ist jedenfalls möglich, und man darf nicht etwra meinen,
ein solcher Gedanke ließe sich von vorneherein damit abweisen,
daß der Begriff eines Verbindens, der zugleich der eines Trennens
ist, einen „Widerspruch“ enthalte. In der Sphäre des Logischen
müssen alle Begriffe, die wir an der sinnlich realen Welt gebildet
haben und dann für irrealen logischen Sinn in übertragener Be-
deutung benutzen, eine Modifikation erfahren, und deshalb haben
wir kein Becht, zu sagen, daß im Gebiet des Logischen Trennung
und Verbindung einander ausschließen. Es ist vielmehr von vorne-
herein anzunehmen, auch die logische Bedeutung der Copula werde
darin bestehen, daß sie die zwei von ihr verbundenen Glieder des
Sinnes nicht zu einer unterschiedslosen „Einheit“ verschmelzen
läßt, wie in einer chemischen Verbindung zwei Stoffe eine „Einheit“
bilden, sondern daß sie die Zweiheit der Faktoren als die des Einen
und des Andern, kurz als Andersheit, aufrecht erhält und in-
sofern beide zugleich voneinander trennen muß. Nur so behält
jeder Bestandteil des wahren Sinngebildes seine selbständige Be-
deutung.
Doch das kann erst ganz klar gemacht werden, wenn die Unter-
suchung weiter fortgeschritten ist. Vorläufig kam es nur darauf an,
zu verstehen, was es heißt, daß die grammatische Struktur der
Sätze, die uns zum Ausgangspunkte dienen sollen, notwendig „voll
entwickelt“ sein muß. Der Einwand, wir dürften uns heim Studium
des Wesens der Wahrheit nicht von vorneherein an die Zweiheit
des sprachlichen Ausdrucksmittels halten, ist jetzt wohl gründlich
beseitigt. Wir konnten zeigen, wie gerade der wahre Sinn der Er-
kenntnis, die Wahrheit über etwas gibt, es fordert, daß wir von
vorneherein nicht nur eine Zweiheit des Einen und des Andern,
sondern sogar eine Dreiheit des Einen und des Andern, d. h. von
Subjekt, Copula und Prädikat zu beachten haben, falls wir am Satz
die Struktur des logischen Gebildes studieren wollen. Nur so ge-
gliederte Sätze sind geeignete Mittel, die erkannte logische Wahr-
heit zum in jeder Hinsicht unzweideutigen sprachlichen Ausdruck
zu bringen.
 
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