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IV. Subjekt und Prädikat.

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beiseite, dann wird dabei vielleicht jedem klar werden, daß beim
Verstehen von Sinngebilden unsinnlicher ,,Stoff“ ebenso unmittel-
bar gegeben ist wie sinnlicher Inhalt beim Wahrnehmen von phy-
sischen oder psychischen Gegenständen.
Stellen wir, um dies Faktum (denn um ein ,,Faktum“ handelt
es sich dabei, sobald wir das Wort im weitesten Sinne und nicht
dogmatisch-sensualistisch nehmen) nahezubringen, die beiden Wort-
komplexe: „der Hermes des Praxiteles ist schön“, und „der Satz,
daß der Mond eine Kugel ist, ist wahr“, mit den beiden von ihnen
zum Ausdruck gebrachten Sinngebilden einander gegenüber, um
sie mit Rücksicht auf ihre inhaltlichen Unterschiede, die sie
einerseits untereinander und andererseits gegenüber der allgemeinen
Formel „etwas ist geltend“ zeigen, zu vergleichen. Beide Gebilde
haben ein doppeltes Prädikat, ein primäres und ein sekundäres,
welches das primäre voraussetzt. Wenn ich etwas „schön“ nenne,
muß ich voraussetzen, daß etwas Geltendes „da ist“, dem dies
Prädikat zukommen kann. Der erste Satz bedeutet also voll-
entwickelt: „etwas (d. h. in diesem Falle der Hermes) ist geltend
und schön“. Für den zweiten Satz gilt dasselbe. Er lautet voll-
entwickelt: „etwas (d. h. in diesem Falle der Satz vom Monde) ist
geltend und wahr“. Die sekundären Prädikate „schön“ und „wahr“,
die beide Unsinnliches bedeuten, kann man nun in der Tat noch
ebenso wie das allgemeine Gelten auch als Formen gegenüber
dem wahren und schönen Inhalt der Statue und des Satzes ansehen,
und wir wollen uns hier mit ihnen nicht weiter beschäftigen. Wie
aber steht es mit den beiden „Subjekten“, die als konkrete Inhalte
für das „etwas“, das gilt, eingesetzt sind ? Will man entweder behaup-
ten, daß der Hermes und der Satz, d. h. der unsinnliche schöne Sinn
des Hermes und der unsinnliche wahre Sinn des Satzes vom Monde
nur durch ihre Formen voneinander verschieden sind, oder will
man etwa sagen, daß die inhaltlichen Verschiedenheiten, die die
beiden Gebilde doch zweifellos aufweisen, durchweg sinnlicher
Art seien ? Das eine oder das andere muß man annehmen, um den
hyletischen Sensualismus zu retten, d. h. jeden unsinnlichen „Stoff“
zu leugnen. Aber weder das eine noch das andere kann man für
wahr halten. Es handelt sich in beiden Fällen nur um verstehbare
unsinnliche Sinngebilde, von denen mit „schön“ oder mit „wahr“
etwas ausgesagt wird, und diese Sinngebilde müssen auch un-
abhängig von den verschiedenen Prädikaten, die sie erhalten, schon
ihrem inhaltlichen und zwar unsinnlichen Bestände nach, von-
 
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