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Erster logischer Teil.
den wahren Sinngebilden über Geltendes auftreten, nicht Bezeich-
nungen für sinnlich wahrnehmbare Inhalte, aber einen anschau-
lichen Charakter tragen auch solche Inhalte trotzdem. Sie lassen
sich durch vortheoretisches Verstehen unmittelbar in ihrer An-
schaulichkeit erfassen. Auch sie geben andererseits als bloße Wort-
bedeutungen, die wir nur anschaulich verstehen, noch keinen
theoretischen Sinn und daher noch keine Wahrheit über einen
Gegenstand. Es muß viel mehr auch in dem Sinn von Sätzen über
Geltendes zu dem unsinnlich verstehbaren anschaulichen Inhalt
der Wortbedeutungen stets eine ebenfalls unsinnliche, aber zugleich
auch unanschauliche Form hinzutreten. Erst durch die zwei Fak-
toren kommt auch auf diesem Gebiet der Erkenntnis ein gegen-
ständlich wahres Sinngebilde zustande.
Das wird genügen, um klarzumachen, was wir meinen, wenn
wir statt des anschaulichen, aber noch prädikatslosen primitiven
Subjekts überall Inhalt sagen und statt des unanschaulichen Prä-
dikats, das zu dem Inhalt hinzukommen muß, um Wahrheit über
ihn zu geben, stets den Namen der Form verwenden. Das heute ge-
priesene Erkenntnis-Ideal des Intuitionismus ist dann auch un-
abhängig von der logischen Prädikatslehre als ein Ideal erwiesen,
das noch niemand verwirklicht hat, und das niemand verwirklichen
wird, der Wahrheit in Sätzen so zum Ausdruck bringen will, daß
er selbst seine Worte denken oder logisch verstehen kann, und daß
sie von anderen Menschen logisch verstanden werden. Schon jetzt
sehen wir: eine Lehre vom „Sein der Welt“ oder eine Ontologie,
die auf Wahrheit Anspruch erhebt, wird durch bloßes Anschauen
der Welt niemals entstehen. Sie braucht „Begriffe“. Auch ihre In-
halte müssen „geformt“ sein1.
Doch ehe wir auf das Problem der Ontologie mit Rücksicht
hierauf näher eingehen, müssen wir vorläufig den logischen oder
erkenntnistheoretischen Gedankengang noch weiter für sich ver-
folgen. Wir haben jetzt die aus der Grammatik entnommenen
Begriffe des Subjekts und des Prädikats durch die logischen Be-
griffe des anschaulichen Inhalts und der unanschaulichen Form
ersetzt. Von einer bloß grammatischen und insofern vielleicht
1 Sehr klar und überzeugend hat Friedrich Kreis in seiner Schrift:
„Phänomenologie und Kriticismus“ (Heidelberger Abhandlungen zur Philoso-
phie und ihre Geschichte, Heft 21, 1930) gezeigt, weshalb der Intuitionismus
der „Phänomenologie“, konsequent durchdacht, nicht zum „Kosmos“ der
Wissenschaft, sondern zum „Chaos“ führt.
Erster logischer Teil.
den wahren Sinngebilden über Geltendes auftreten, nicht Bezeich-
nungen für sinnlich wahrnehmbare Inhalte, aber einen anschau-
lichen Charakter tragen auch solche Inhalte trotzdem. Sie lassen
sich durch vortheoretisches Verstehen unmittelbar in ihrer An-
schaulichkeit erfassen. Auch sie geben andererseits als bloße Wort-
bedeutungen, die wir nur anschaulich verstehen, noch keinen
theoretischen Sinn und daher noch keine Wahrheit über einen
Gegenstand. Es muß viel mehr auch in dem Sinn von Sätzen über
Geltendes zu dem unsinnlich verstehbaren anschaulichen Inhalt
der Wortbedeutungen stets eine ebenfalls unsinnliche, aber zugleich
auch unanschauliche Form hinzutreten. Erst durch die zwei Fak-
toren kommt auch auf diesem Gebiet der Erkenntnis ein gegen-
ständlich wahres Sinngebilde zustande.
Das wird genügen, um klarzumachen, was wir meinen, wenn
wir statt des anschaulichen, aber noch prädikatslosen primitiven
Subjekts überall Inhalt sagen und statt des unanschaulichen Prä-
dikats, das zu dem Inhalt hinzukommen muß, um Wahrheit über
ihn zu geben, stets den Namen der Form verwenden. Das heute ge-
priesene Erkenntnis-Ideal des Intuitionismus ist dann auch un-
abhängig von der logischen Prädikatslehre als ein Ideal erwiesen,
das noch niemand verwirklicht hat, und das niemand verwirklichen
wird, der Wahrheit in Sätzen so zum Ausdruck bringen will, daß
er selbst seine Worte denken oder logisch verstehen kann, und daß
sie von anderen Menschen logisch verstanden werden. Schon jetzt
sehen wir: eine Lehre vom „Sein der Welt“ oder eine Ontologie,
die auf Wahrheit Anspruch erhebt, wird durch bloßes Anschauen
der Welt niemals entstehen. Sie braucht „Begriffe“. Auch ihre In-
halte müssen „geformt“ sein1.
Doch ehe wir auf das Problem der Ontologie mit Rücksicht
hierauf näher eingehen, müssen wir vorläufig den logischen oder
erkenntnistheoretischen Gedankengang noch weiter für sich ver-
folgen. Wir haben jetzt die aus der Grammatik entnommenen
Begriffe des Subjekts und des Prädikats durch die logischen Be-
griffe des anschaulichen Inhalts und der unanschaulichen Form
ersetzt. Von einer bloß grammatischen und insofern vielleicht
1 Sehr klar und überzeugend hat Friedrich Kreis in seiner Schrift:
„Phänomenologie und Kriticismus“ (Heidelberger Abhandlungen zur Philoso-
phie und ihre Geschichte, Heft 21, 1930) gezeigt, weshalb der Intuitionismus
der „Phänomenologie“, konsequent durchdacht, nicht zum „Kosmos“ der
Wissenschaft, sondern zum „Chaos“ führt.