Metadaten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VI. Sein als Erkenntnis-prädikat, als Denkprädikat u. als Copula. 129

Es liegen jedoch zwei Gründe vor, die uns trotzdem veran-
lassen, uns nicht auf den Gedankengang in der soeben angedeuteten
Einfachheit zu beschränken, sondern den umständlicheren Weg zu
gehen, der uns über mehrere besondere Beispiele einfachster gegen-
ständlich wahrer Sinngebilde und zu mehreren Urprädikaten
führt, und wir müssen uns jetzt über die Gründe, die uns zu unse-
rem Verfahren nötigen, ausdrücklich Rechenschaft geben.
Der eine von ihnen besteht darin, daß eine solche vereinfachte
Darstellung unsere Einsicht in die logische Struktur des einfachsten
Sinngebildes nicht in die Gestalt gebracht hätte, die geeignet ist,
im Anschluß an sie alles Wesentliche zu zeigen, was sich aus der
Lehre vom logischen Urprädikat für das Problem der Ontologie
ergibt. Sobald wir uns nämlich mit dem Ergebnis, daß „Sein“
in jedem logisch einfachsten wahren Sinn unentbehrliches Ur-
prädikat ist, und zugleich nur Prädikat sein kann, zum Problem
der Ontologie gewendet hätten, müßte sich die Frage erheben: was
heißt Sein der „Welt“? Und dann wäre es für eine Klarlegung
der Beziehungen unserer Prädikationslehre zur Wissenschaft vom
Seienden überhaupt oder vom „Sein der Welt“ als Totalität doch
notwendig geworden, den Begriff des Seins weiter zu differen-
zieren, d. h. die verschiedenen Arten der Urprädikate, die Sein
als Sein in der Welt bedeutet, festzustellen. Sonst ließe sich nicht
einmal verstehen, was „Ontologie“ im weitesten Sinne eigentlich
zu leisten hat. An dem Eingehen auf besondere Beispiele für
mehrere einfachste Sinngebilde wie deren verschiedene Ur-
prädikate, und dementsprechend für die verschiedenen Arten von
„seienden“ Gegenständen der Erkenntnis, wären wir also doch
nicht vorbeigekommen. Wir hätten nur die Reihenfolge der Ge-
danken ändern, d. h. vom Allgemeinen zum Besonderen fortschreiten
können, statt wie soeben vom Besonderen zum Allgemeinen aufzu-
steigen. Davon wird später ausführlich die Rede sein. Der Onto-
logie als Lehre vom Sein der Welt genügt das „Sein überhaupt“
nicht. Sie braucht auch, ja gerade die Kenntnis der verschiedenen
Seinsarten, die Prädikate der Welt-Erkenntnis sind.
Doch ist das nicht der einzige Grund, der uns zu unserm schein-
bar allzu umständlichen Verfahren veranlaßt hat. Ja, ein anderer
Grund liegt bei der Frage nach der logischen Struktur des ein-
fachsten gegenständlichen Sinngebildes noch näher.
Wir mußten auch deshalb von vorneherein besondere Arten
von Gegenständen der Erkenntnis und besondere Beispiele für

Sitzungsberichte d. Heidelb., Akad.phil.-hist. Kl. 1930/31. l.Abh.

9
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften