YI. Sein als Erkenntnisprädikat, als Denkprädikat u. als Copula. 147
ist also später ausdrücklich das „Werdende“ gesetzt worden, und
das entspricht, ebenso wie der Gebrauch des Wortes „sein“ für
eine besondere Art des Seins im Tasso, einer ontologischen oder
metaphysischen Überzeugung Goethes. Die sachliche Frage: ist
das „wahre“ Sein ein Werden oder ein unwandelbares Sein ?, brau-
chen wir hier selbstverständlich nicht weiter zu verfolgen. Es kommt
an dieser Stelle nur darauf an, die zwei Prädikate: „das Werden“
und das im Gegensatz zum Werden stehende wandellose „Sein“,
die beide gewiß Prädikate gegenständlicher Erkenntnis sein
können, als besondere Modifikationen des Prädikat-Seins von
jenem allgemeinsten Sein zu trennen, mit dem als einer bloßen
Denkform noch keine gegenständliche Erkenntnis zustandezu-
bringen ist.
Ferner müssen wir, um über den Umfang des allgemeinsten
Seinsbegriffs als einer bloßen Denkform keinen Zweifel zu lassen,
die Aufmerksamkeit noch auf das Begriffspaar „Sein“ und „Er-
scheinung“ richten. Sobald man „das Sein“ in einen Gegensatz
zur Erscheinung bringt, ist wieder bereits eine besondere Art des
Seins, und zwar meist das „übersinnlich wirkliche“ Sein oder das
„ontos on“ gemeint. Im Gegensatz dazu gehört dann nach unserer
Terminologie auch die „Erscheinung“ einerseits mit unter den
allgemeinsten Begriff des „Seins“ und ist andererseits eine beson-
dere Seinsart, wie das geltende, das ideal existierende oder das
sinnlich wirkliche Sein. Auch sie kann sehr wohl Erkenntnis-
prädikat werden. Ja, sogar das Wort „Schein“ muß als Bezeich-
nung für eine besondere Art des allgemeinsten Seins gebraucht
werden und dient eventuell als Erkenntnisform, denn sobald wir
von einem Schein reden, der noch „etwas“, also nicht „nichts“ ist,
haben wir ihm nicht nur das Sein überhaupt, sondern zugleich
eine besondere Art des Seins beigelegt, durch die wir ihn als „Schein“
erkennen. Was im Sinne des Erkenntnisprädikats nur „scheinbar“
ist, muß im Sinne des Denkprädikats „Sein“ trotzdem zugleich sein.
So erledigt sich die oft hervorgehobene Schwierigkeit, daß auch der
„Schein“ ein „Sein“ habe.
Daß Ähnliches wie von Sein und Schein von dem Begriffs-
paar „wirklich sein“ und „möglich sein“ gilt, versteht sich wohl
von selbst. Das Möglich-Sein ist nicht nur „Sein überhaupt“, son-
dern ebenfalls eine besondere Art des Seins wie das Wirklich-Sein
und daher als Erkenntnisprädikat brauchbar. Es bleibt sogar denk-
bar, daß diese beiden Seinsarten zu den Urprädikaten gehören und
10*
ist also später ausdrücklich das „Werdende“ gesetzt worden, und
das entspricht, ebenso wie der Gebrauch des Wortes „sein“ für
eine besondere Art des Seins im Tasso, einer ontologischen oder
metaphysischen Überzeugung Goethes. Die sachliche Frage: ist
das „wahre“ Sein ein Werden oder ein unwandelbares Sein ?, brau-
chen wir hier selbstverständlich nicht weiter zu verfolgen. Es kommt
an dieser Stelle nur darauf an, die zwei Prädikate: „das Werden“
und das im Gegensatz zum Werden stehende wandellose „Sein“,
die beide gewiß Prädikate gegenständlicher Erkenntnis sein
können, als besondere Modifikationen des Prädikat-Seins von
jenem allgemeinsten Sein zu trennen, mit dem als einer bloßen
Denkform noch keine gegenständliche Erkenntnis zustandezu-
bringen ist.
Ferner müssen wir, um über den Umfang des allgemeinsten
Seinsbegriffs als einer bloßen Denkform keinen Zweifel zu lassen,
die Aufmerksamkeit noch auf das Begriffspaar „Sein“ und „Er-
scheinung“ richten. Sobald man „das Sein“ in einen Gegensatz
zur Erscheinung bringt, ist wieder bereits eine besondere Art des
Seins, und zwar meist das „übersinnlich wirkliche“ Sein oder das
„ontos on“ gemeint. Im Gegensatz dazu gehört dann nach unserer
Terminologie auch die „Erscheinung“ einerseits mit unter den
allgemeinsten Begriff des „Seins“ und ist andererseits eine beson-
dere Seinsart, wie das geltende, das ideal existierende oder das
sinnlich wirkliche Sein. Auch sie kann sehr wohl Erkenntnis-
prädikat werden. Ja, sogar das Wort „Schein“ muß als Bezeich-
nung für eine besondere Art des allgemeinsten Seins gebraucht
werden und dient eventuell als Erkenntnisform, denn sobald wir
von einem Schein reden, der noch „etwas“, also nicht „nichts“ ist,
haben wir ihm nicht nur das Sein überhaupt, sondern zugleich
eine besondere Art des Seins beigelegt, durch die wir ihn als „Schein“
erkennen. Was im Sinne des Erkenntnisprädikats nur „scheinbar“
ist, muß im Sinne des Denkprädikats „Sein“ trotzdem zugleich sein.
So erledigt sich die oft hervorgehobene Schwierigkeit, daß auch der
„Schein“ ein „Sein“ habe.
Daß Ähnliches wie von Sein und Schein von dem Begriffs-
paar „wirklich sein“ und „möglich sein“ gilt, versteht sich wohl
von selbst. Das Möglich-Sein ist nicht nur „Sein überhaupt“, son-
dern ebenfalls eine besondere Art des Seins wie das Wirklich-Sein
und daher als Erkenntnisprädikat brauchbar. Es bleibt sogar denk-
bar, daß diese beiden Seinsarten zu den Urprädikaten gehören und
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