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Zweiter ontologischer Teil.

identifizieren, daß alle Erkenntnis notwendigerweise auf ein „An-
sichseiendes“ gerichtet sei.
Dann aber wird man zugleich auch weitergehen und einsehen:
der Ontologie muß an ihrem Anfang die Aufgabe gestellt werden,
vorurteilslos zu fragen, welche verschiedenen Arten des Seins der
Welt es als Erkenntnisprädikate gibt, genauer: welche Arten, einen
Inhalt als in der Welt „seiend“ (nicht nur gedacht) zu prädizieren,
wir in wahren Sinngebilden, die etwas von der Welt erkennen, auf
Grund einer umfassenden „Erfahrung“, vorfinden. Wenn dies
festgestellt ist, dann erst können wir schließlich fragen: lassen
sich die verschiedenen „erfahrenen“ Seinsarten der Welt eventuell
„einheitlich“ begreifen, und wie ist das möglich ? Darüber haben
wir bereits gesprochen.
Selbstverständlich bleibt es denkbar, daß ein solches einheit-
liches Begreifen des Seins der Welt erst dann gelingt, wenn man
alle die verschiedenen Arten des gegenständlichen Seins auch mit
einem „Ansichseienden“ im alten Sinn irgendwie in Verbindung
bringt und sie dann zugleich als dessen bloße „Erscheinungen“ an-
sieht. Wir lehnen hier jedes negative „Dogma“ ebenso ab wie'
jedes positive. Aber die Wahrheit eines solchen Satzes muß erst
begründet werden, und sogar wenn die Begründung gelingt, bleibt
das „Ansichseiende“ immer nur eine Seinsart unter andern. Keine
Ontologie kann in dem Sinne „monistisch“ sein wollen, daß sie
die Vielheit der Arten des Welt-Seins überhaupt leugnet.
Mag man sogar von einem „einzig wahren“ Sein sprechen, dem
gegenüber alle andern Arten des Seins zum bloßen „Schein“ herab-
sinken, so muß man doch in der Wissenschaft vom Seienden über-
haupt, also in der Ontologie, auch von diesen andern Arten des
Seins der Welt, ja sogar vom Sein des Scheins handeln, und die
allgemeine, weltumfassende Ontologie behält daher stets die Auf-
gabe, zuerst über die Vielheit und das Wesen aller verschie-
denen Seinsarten der Welt Klarheit zu geben.
Wenn sie das aber eingesehen hat, wird sie sogleich noch einen
Schritt in einer andern Richtung weiter gehen und einsehen, daß
zwar der Satz: „es gibt keine Erkenntnisfrage ohne Seinsfrage“
richtig ist, genau ebenso richtig jedoch zugleich, wenigstens für
die allgemeine Ontologie, die Umkehrung dieses Satzes: „es gibt
keine Seinsfrage ohne Erkenntnisfrage“. Das muß aus unserer Lehre
vom Sein als Prädikat jetzt endgültig klar geworden sein: eine
Seinsfrage, die keine Teilfrage bleiben soll wie in einer Spezial-
 
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