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•202

Zweiter ontologischer Teil.

nicht, ist nicht „wirklich“ usw. und „ist“ insofern nicht. Das
gibt keinen Widerspruch.
Da wir (leider) gewohnt sind, die Erkenntnisformen ebenso
wie die Denkformen durch dasselbe Wort „Sein“ zum Ausdruck
zu bringen, ohne ausdrücklich zu sagen, welches Sein wir meinen,
entsteht allerdings scheinbar ein Widerspruch, wo wir sagen: „nichts
ist nicht“. Aber das ist dann kein Widerspruch im wahren Sinn
des Satzes, d. h. keine Bejahung und Verneinung derselben Sub-
jekts-Prädikats-Synthese, sondern nur ein „Widerspruch“ im
sprachlichen Ausdruck. Anders gesagt: wir legen dem Nichts
zwar notwendig die Denkform des Seins bei, wenn wir überhaupt
etwas von ihm aussagen, müssen es also als „seiend“ denken, aber
wir können ihm trotzdem zugleich jede Erkenntnisform des „Seins
in der Welt“ absprechen. Deshalb dürfen wir unbedenklich sagen:
nichts ist und nichts ist nicht. Das Wort „ist“ hat an erster Stelle
nicht dieselbe Bedeutung wie an zweiter Stelle. Von einem Wider-
spruch ist daher in diesem Satze nichts zu finden. Es wird nicht
„dialektisch“ ein und dasselbe Prädikat sowohl bejaht als auch
verneint. Nichts bleibt vielmehr das im Sinne der Erkenntnis-
formen „nicht-seiende“, während es im Sinn der Denkform „sei-
end“ ist.
Doch das ist noch nicht alles, was wir klarzustellen haben,
um den Begriff des Nichts zu bilden. Wir wissen außerdem, daß
alle Erkenntnisformen zugleich besondere Arten des „Seins“
bedeuten, falls sie gegenständliche Erkenntnis geben sollen,
und das führt einen Schritt weiter. Wenn wir von einem Nicht-
Etwas sozusagen im „positiven“ Sinne reden wollen, d. h. von einem
Etwas, das in bezug auf die allgemeinste Denkform als seiend prä-
diziert werden muß, und das trotzdem nichts in der Welt „ist“, so
bedeutet das nur, daß diesem als seiend gedachten Etwas nicht
eine der besonderen Seinsarten als Prädikat beigelegt werden
kann, die wir als die verschiedenen Urprädikate des Erkennens oder
als Erkenntnisformen der Welt kennen. Der in solchen Fällen vor-
liegende logische Sachverhalt läßt sich auch sprachlich leicht zum
Ausdruck bringen. Man braucht nur zu sagen: das Nichts oder das
Nicht-Etwas-Seiende ist das Etwas, das zwar in der allgemeinsten
Bedeutung des Wortes „sein“, die es als bloße Denkform hat, „ist“,
das aber die Erkenntnisprädikate „wirklich seiend“ oder „geltend
seiend“ oder „ontos on“ oder „ideal existierend“ oder irgendwelche
andern uns bekannten Erkenntnisprädikate, die ein in der Welt
 
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