X. Sein und Nichts.
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Aber man darf darum, auch abgesehen von der Vieldeutigkeit des
Wortes „Ernst“, diesen Satz nicht so generalisieren, daß Philo-
sophie nun überhaupt nicht am Maßstab der Idee der Wissenschaft
gemessen werden könne. Denn selbst wenn wir von aller Logik
und Erkenntnistheorie als „Philosophie“ einmal absehen, ist das,
was man allgemein Philosophie zu nennen hat, sicher nicht nur
Metaphysik des Nichts, sondern zugleich allgemeine Ontologie,
die auch, ja gerade von dem Ganzen der erkennbaren Welt
einen Begriff zu bilden hat. Das metaphysische Problem bleibt
als ein „Hinausfragen über das Sein“ immer nur ein Problem
unter vielen anderen.
Wer das bestreiten wollte, könnte dafür nur geltend machen,
daß er persönlich sich für andere als in diesem Sinn „metaphysi-
sche“ Fragen nicht interessiert. Damit aber würde er den Ge-
sichtskreis der Philosophie in höchst unsachlicher Weise verengen.
Zu „widerlegen“ ist ein solcher „Standpunkt“ freilich nicht, denn
wofür er sich zu interessieren habe, das kann man keinem Menschen
„andemonstrieren“, wie Fichte sagen würde. Aber ebenso bleibt
es vom wissenschaftlichen Standpunkt aus vollendete Willkür,
wenn jemand behauptet, Probleme wie die Frage nach dem Andern
der erkennbaren Welt oder nach dem Nichts seien die einzigen
wahrhaft wesentlichen Probleme. Alle Philosophen, die wir die
„großen“ nennen, haben nach dem positiv bestimmbaren Sein
der Welt, ja in der Hauptsache nur nach diesem gefragt, und
wenige haben außerdem noch vom „Nichts“ als einem wesentlichen
Begriff gehandelt. Daß die erkennbare Welt (und nicht „das
Nichts“) im Zentrum der Philosophie steht, dabei wird es hoffent-
lich auch in Zukunft bleiben, und ebenso wie man versucht ist,
dem HEiDEGGERschen Begriff des „Daseins“ als der „Sorge“ das
Wort Fausts entgegenzuhalten: „Doch Deine Macht, o Sorge,
schleichend groß, ich werde sie nicht anerkennen“, wird man
bei den HEiDEGGERschen Ausführungen über das Nichts an ein
anderes Goethe-WoG denken: „Am Sein erhalte Dich beglückt“.
Das ist gewiß keine theoretische Wahrheit, und wir haben
daher für das, was wir zum Ausdruck bringen wollten, absichtlich die
Form des Imperativs gewählt. Wir gehen dadurch mit vollem
Bewußtsein ebenfalls, wenn auch gewiß nicht mehr als Heidegger,
über die Grenze der logisch begründbaren Wissenschaft hinaus. Doch
bleibt uns nichts anderes übrig, wenn wir den überwissenschaft-
lichen Einseitigkeiten, bei denen nicht sachliche Gründe, sondern
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Aber man darf darum, auch abgesehen von der Vieldeutigkeit des
Wortes „Ernst“, diesen Satz nicht so generalisieren, daß Philo-
sophie nun überhaupt nicht am Maßstab der Idee der Wissenschaft
gemessen werden könne. Denn selbst wenn wir von aller Logik
und Erkenntnistheorie als „Philosophie“ einmal absehen, ist das,
was man allgemein Philosophie zu nennen hat, sicher nicht nur
Metaphysik des Nichts, sondern zugleich allgemeine Ontologie,
die auch, ja gerade von dem Ganzen der erkennbaren Welt
einen Begriff zu bilden hat. Das metaphysische Problem bleibt
als ein „Hinausfragen über das Sein“ immer nur ein Problem
unter vielen anderen.
Wer das bestreiten wollte, könnte dafür nur geltend machen,
daß er persönlich sich für andere als in diesem Sinn „metaphysi-
sche“ Fragen nicht interessiert. Damit aber würde er den Ge-
sichtskreis der Philosophie in höchst unsachlicher Weise verengen.
Zu „widerlegen“ ist ein solcher „Standpunkt“ freilich nicht, denn
wofür er sich zu interessieren habe, das kann man keinem Menschen
„andemonstrieren“, wie Fichte sagen würde. Aber ebenso bleibt
es vom wissenschaftlichen Standpunkt aus vollendete Willkür,
wenn jemand behauptet, Probleme wie die Frage nach dem Andern
der erkennbaren Welt oder nach dem Nichts seien die einzigen
wahrhaft wesentlichen Probleme. Alle Philosophen, die wir die
„großen“ nennen, haben nach dem positiv bestimmbaren Sein
der Welt, ja in der Hauptsache nur nach diesem gefragt, und
wenige haben außerdem noch vom „Nichts“ als einem wesentlichen
Begriff gehandelt. Daß die erkennbare Welt (und nicht „das
Nichts“) im Zentrum der Philosophie steht, dabei wird es hoffent-
lich auch in Zukunft bleiben, und ebenso wie man versucht ist,
dem HEiDEGGERschen Begriff des „Daseins“ als der „Sorge“ das
Wort Fausts entgegenzuhalten: „Doch Deine Macht, o Sorge,
schleichend groß, ich werde sie nicht anerkennen“, wird man
bei den HEiDEGGERschen Ausführungen über das Nichts an ein
anderes Goethe-WoG denken: „Am Sein erhalte Dich beglückt“.
Das ist gewiß keine theoretische Wahrheit, und wir haben
daher für das, was wir zum Ausdruck bringen wollten, absichtlich die
Form des Imperativs gewählt. Wir gehen dadurch mit vollem
Bewußtsein ebenfalls, wenn auch gewiß nicht mehr als Heidegger,
über die Grenze der logisch begründbaren Wissenschaft hinaus. Doch
bleibt uns nichts anderes übrig, wenn wir den überwissenschaft-
lichen Einseitigkeiten, bei denen nicht sachliche Gründe, sondern