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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0024
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24

Martin Dibelius:

gionsgeschichtliclien Folgerungen für die Marienlegende gezogen
werden. Wenn das „Überschattetwerden“ der Maria die wunder-
bare Zeugung ausdrückt, so hat es nicht die Bedeutung, die dem
Wort έπισκιάζειν in der hellenistischen Mystik eigen ist. Die Dar-
stellung der Zeugung ist also auch nicht ein hellenistischer Fremd-
körper in der Legende, der entfernt werden müßte. Der religions-
geschichtliche Ort dieser Vorstellung von der göttlichen Zeugung
ist damit noch nicht gegeben. Zu seiner Bestimmung bedarf es zu-
nächst einer Analyse der Matthäusdarstellung.
Die „Vorgeschichte“ des Matthäus-Evangeliums be-
steht nicht lediglich aus einer Komposition wie die des Lukas. Wohl
aber enthält sie eine solche Komposition in Gestalt der Erzählung,
die in einem, nirgends unterbrochenen Zug vom Besuch der Magier
aus Osten zum bethlehemitischen Kindermord und der Rückkehr
von Kind und Eltern aus Ägypten führt. Diese Erzählung setzt
ein mit den Worten: „als Jesus in den Tagen des Königs Herodes
zu Bethlehem in Juda geboren war“ . . .; sie beginnt also nach
der Geburt Jesu, führt diese aber mit Zeit- und Ortsangabe in
einer Weise ein, die zeigt, daß eine Erzählung von der Geburt nicht
vorausgesetzt ist. Völlig isoliert steht somit der kurze Bericht von
der nächtlichen Engelserscheinung vor Joseph Mt. 1, 18—25. Sie
ist veranlaßt durch die Schwangerschaft der Maria. Joseph, der
sie sich verlobt, der sie aber noch nicht berührt hat, muß annehmen,
daß sie sich einem Fremden hingegeben hat; dieser Verdacht wird
nicht ausgesprochen, aber deutlich vorausgesetzt: „da er ein ge-

werden der Denkkraft bei der Annäherung eines göttlichen Wesens die Rede
sei, und betont, daß έπισκιάζειν von Philo gerade da gebraucht werde, „wo
vom Zeugungsakt besonders unverblümt die Rede ist“. Er verweist S. 95
auf den ,,mariage spirituel“ der heiligen Teresa von Jesu und konstatiert,
daß die Vereinigung mit der Gottheit oft als geschlechtliche Verbindung auf-
gefaßt werde. Das ist natürlich richtig, hat aber mit dem Sinn von έπισκιάζειν
bei Philo nichts zu tun. — In Walter Bauers Wörterbuch zu den Schriften
des N. T. wird das Mißverständnis nun lexikalisch festgelegt. Es heißt bei
επισκιάζω: ,,3. vom geschlechtlichen Akt überschatten (Philo, quod deus sit
immut. 3) τινί Imdn. Llc. 1, 35“. Gerade wenn man die Lukas-Stelle so
deutet, darf aber Philo nicht angeführt werden. — Als letzter Zeuge sei Ivat-
texbusch genannt, der unter Berufung auf Bauer von dem Ausdruck έπι-
σκιάζειν sagt (Th. Stud. u. Krit. 1930, 463), „vom geschlechtlichen Akte werde
er von Philo (Quod Deus sit immut. c. 3) gebraucht“. — Eine Kritik des von
Leisegang und Norden vorgetragenen Verständnisses des Wortes έπισκιάζειν
findet sich auch bei Büchsel, Der Geist Gottes im Neuen Testament, S. 198,
Anm. 2.
 
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