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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0025
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Jungfrauensohn und Krippenkind.

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rechter (Mann) war und sie (dennoch ?) nicht bloßstellen wollte, ge-
dachte Josef sie in der Stille zu entlassen“. Die Engelsbotschaft
entbehrt des Pathos und des Rhythmus, den das Seitenstück bei
Lukas aufweist; sie verkündet Herkunft und Namen des Kindes:
„Joseph, Davids Sohn, scheue dich nicht, Maria dein Weib
heimzuführen, denn was in ihr erzeugt ist, rührt vom heiligen
Geist her. Sie wird einen Sohn gebären, und du sollst sei-
nen Namen Jesus heißen, denn er wird sein Volk retten von
seinen Sünden“.
Der Rahmen, in dem diese Botschaft steht, ist nicht der einer
Legende. Es ist hier wie bei der Geschichte von der Begegnung der
beiden Mütter: legendäre Motive finden sich — so hier die Engels-
erscheinung und die Ankündigung des Namens —, aber notwendige
Bestandteile der Legende fehlen. Allem Legendenstil zuwider läuft
es, daß das heilige Geheimnis, das der Engel enthüllen soll, schon
im voraus verraten wird: „es fand sich, daß sie schwanger war vom
heiligen Geist“. Nicht erzählt, sondern referiert ist dieses „es fand
sich“; nicht einmal gesagt ist, daß (und wie) Josef davon erfährt.
Bei der Namengebung fehlt die Übersetzung des Jesus-Namens; das
ist auffallend bei einem Erzähler, der die Bedeutung des Namens
verwertet und den ganzen Bericht in diesen Namen ausklingen läßt.
Die Erinnerung an die Mutter werdende Jungfrau aus Jes. 7, 14
ist nicht wie bei Lukas in der Wortwahl angedeutet, sondern in
der Form des Reflexionszitates ausgedrückt, also in einer für diesen
Evangelisten bezeichnenden Form; so ist Mt. 1, 22. 23 wohl dem
Evangelisten zuzuschreiben. Aber dabei stellt sich die Frage, ob
nicht derselbe Evangelist verantwortlich für das Ganze ist. Denn
dieses Ganze ist nicht eine Erzählung, sondern eine Aufklärung in
erzählender Form. Das Heilige wird nicht dargestellt zwecks Er-
bauung, sondern erwiesen zwecks Verteidigung. Die Empfängnis
der Maria ist bereits geschehen. Wie sie geschehe, war von der
Lukas-Legende im Vorblick zart angedeutet; hier wird es ver-
schwiegen. Daß kein Mann der Erzeugende war, war bei Lukas
aus der Frage der Maria zu ersehen; hier wird der Verdacht der
Gegner widerlegt, indem der Verdacht des Josef beschwichtigt
wird. Nicht das Wunder steht im Mittelpunkt, sondern seine Recht-
fertigung gegenüber entstellender Mißdeutung. Diese Darstellung
bietet also sicher nicht die Form, in der die Christen zuerst von der
wunderbaren Erzeugung des Heilandes erzählt haben. Sie setzt
 
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