Metadaten

Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0032
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
32

Martin Dibelius:

im älteren rabbinischen Midrasch als „Wind“ gedeutet1; Philo
dagegen bietet unter seinen mannigfachen und durch ganz verschie-
dene Faktoren bedingten2 Äußerungen über das Pneuma auch
solche, die den Geist mit der lebenspendenden Kraft identifizieren,
die von Gott ausgeht3. Und Paulus spricht gerade dort, wo er die
Schöpfung des endzeitlichen „Menschen“, des Messias, in Gegen-
satz stellt zu der Erschaffung des natürlichen ersten Menschen, des
Adam, von dem „lebenspendenden Geist“, aus dem das Wesen
dieses eschatologischen Menschen bestehen soll4.
Es läßt sich also aus Paulus eine Vorstellung des hellenisti-
schen Judentums von der Erzeugung großer Männer erschließen,
soweit diese nach Bibel und Haggada als wunderhaft erzeugt zu
gelten hatten wegen hohen Alters der Eltern oder langer Unfrucht-
barkeit der Mütter. Diese Geburten werden im hellenistischen
Judentum auf die Einwirkung des schöpferischen „heiligen
Geistes“ zurückgeführt unter Ausschaltung des Eheman-
nes5. So hat es Paulus über Sara gelernt und gelehrt; und als
Bestätigung für die Verbreitung dieses Gedankens darf nun auch
Philo herangezogen werden. Er will, bei Gelegenheit der
Erzeugung von Kain und Abel, die Ehen der alttestament-
lichen Frommen aliegorisieren und als „eheliche“ Verbin-
dungen mit den Tugenden hinstellen (De Cherubim 40 ff.).
Zur Begründung dieser Deutung, die offenbar auf ihn selbst
zurückgeht und von ihm als Mysterium für Eingeweihte dar-
gestellt wird (De Cherubim 42. 48), führt er den „hochheiligen
Moses“ als Zeugen an. Auch seine Erzählung beweise, daß die hei-
ligen Frauen von Gott befruchtet seien und nicht vom Manne. Das
wird nun bei vier Frauen durchgeführt, bei Sara, Lea, Rebekka
und Zippora, der Gattin des Moses. Man hat beim Lesen den Ein-
1 Belege bei Strack-Billerbeck, Kommentar z. Neuen Testament I 48.
2 Vgl. Leisegang, Der heilige Geist I 1 (1919).
3 Philo, De opificio mundi 30 p. 6 τό μέν γάρ (sc. -νεύμα) ώνόμασε θεού,
διότι ζωτικώτατον τό πνεύμα, ζωής δέ -θεός αίτιος.
4 I. Kor. 15, 45: ούτως καί γέγραπται· έγένετο 6 πρώτος άνΚρωπος Άδάμ. εις
ψυχήν ζώσαν· ό έσχατος Άδαμ εις πνεύμα ζωοποοϋν. Die letzten Worte sind nicht
mehr Zitat, werden aber von der Methode dieser (Exegese aus dem ersten Satz
erschlossen.
5 Die Frage, inwiefern die so erzeugten Söhne dann doch als Söhne
des menschlichen Vaters gelten, läßt Paulus offen. Philo hat sie durch den
hellenistisch-philosophischen Gedanken von der Bedürfnislosigkeit Gottes
gelöst: Gott gibt den Samen, die Frucht aber ist sein Geschenk an den mensch-
lichen Vater (De Cherubim 44).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften