Metadaten

Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0076
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
76

Martin Dibelius:

Vorgang der Heilandsgeburt ist völlig harmloser Art (wenn wir
die welthistorische Einleitung des Lukas ablösen). Kein erschüt-
terndes Wunder begibt sich, kein Engelchor behütet das Krippen-
kind, kein himmlischer Ruf dringt in kosmische Ferne. Die von
der Geburt erfahren, sind die Nächsten, die Eigner der Krippe.
Aber um so stärker wirkt in diesem engen Bereich der himmlische
Bote und die himmlische Botschaft: Engel und Glanz auf dem
nächtlichen Feld, Freude lind Heil für das ganze Volk. Das Zeichen
aber, dessen Verkündung die Mitte der ganzen Erzählung bildet,
verbindet das Pathos der Botschaft mit der Schlichtheit des Vor-
gangs: der Retter, geboren in Davids Stadt, liegt, Kind mensch-
licher Eltern und verschnürt von Wickelbändern wie jeder andere
Säugling, im Futtertrog einer Hirtenwohnung. Es ist kein Götter-
kind, das nicht menschlich geboren wird, sondern plötzlich er-
scheint, wie Jesus bei Pseudo-Jacobus und in der Ascensio Jesaiae,
wie vielleicht auch Osiris; es ist kein Jungfrauensohn, dessen Er-
zeugung Mutter und Pflegevater überrascht, wie in der Marien-
legende hei Lukas oder in der Josefsgeschichte hei Matthäus. Es
ist ein Menschenkind wie andere, und nur die ersten Zeugen unter
den „Menschen des göttlichen Wohlgefallens“ vernehmen und
glauben, daß er mehr ist: der σωτήρ, der Heiland. Das Evangelium
Jesu kam in die Welt im Rahmen eines menschlichen Lebens in
einem abgelegenen Lande, ohne historischen Akzent und ohne poli-
tische Erschütterung, und ward doch zur geschichtlichen Macht
durch den Glauben derer, die ihm anhingen; hier, in der Weih-
nachtslegende, ist dieses paradoxe Geschehen zum Symbol gestaltet:
das Krippenkind, den Hirten als Heiland verkündet, ist eine Prophe-
zeiung des Heiles, das der Gemeinde der Jünger ohne Rang und
Namen anvertraut ward. Art und Zauber der Weihnachtslegende
liegt in der Verbindung des Himmels mit dem schlichtesten Erden-
winkel; Kraft und Größe des Christentums tritt zutage in der
Durchdringung der Welt mit dem Evangelium, das den Armen im
Geist gesagt war.
Auch diese Legende ist, wie die von der Verkündigung an
Maria, ins Mythische abgewandelt worden. Für die Urheber dieser
Wandlung schien offenbar erst der Rahmen einer Göttergeschichte
dem Rang des Krippenkindes gemäß zu sein. Das Protevangelium
Jacobi, das seine Geburtsgeschichte mit dem Befehl des Kaisers
Augustus beginnt wie Lukas, läßt doch, als Josef ausgeht, eine
Hebamme zu suchen, ein kosmisches Wunder geschehen (s. oben
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften