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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0077
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Jungfrauensöhn und Krippenkind.

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S. 50 f.): alles Leben auf Erden steht stille. Auch wenn diese Dar-
stellung eine Interpolation sein sollte, so würde sie das Bedürfnis
nach kosmisch-mythischer Umrahmung der Geburt ebenso be-
weisen, wie die Wolken-, Licht- und Engel-Erscheinungen, die nach
demselben Apokryphon Kap. 19. 20 Mutter und Kincl umgeben.
Alles dies aber findet nicht in einem Hause und an einer Krippe
statt, sondern in einer Höhle. Man empfindet diese Ortsangabe als
durchaus sachgemäß in einer Darstellung, die an dem unmittel-
baren Eingreifen himmlischer Mächte und überhaupt an kosmischer
Sicht interessiert ist.
Dieses Motiv «von der Geburt Jesu in einer Höhle ist
nun aber in der alten Kirche ziemlich verbreitet und verlangt eine
gesonderte Betrachtung. Am frühesten ist es bei Justin bezeugt,
der im Dialogus 78, 5 berichtet, Joseph habe in Bethlehem keine
Herberge gefunden und habe darum in einer Höhle nahe bei dem
Ort Unterkunft gesucht; dort habe Maria geboren und das Kind
in eine Krippe gelegt. Ganz anders erzählt das Protevangelium
Jacobi: die Reisenden gelangen gar nicht bis nach Bethlehem,
sondern Maria wird unterwegs von der Entbindung überrascht und
muß eine abgelegene Höhle aufsuchen; von einer Krippe ist nicht
die Rede. Ps.-Matthaeus 13 läßt die Reise auf Befehl eines Engels
unterbrochen werden; Maria gebt in eine unterirdische Höhle, in
die kein Tageslicht gelangen kann, die aber beim Eintritt Marias von
wunderbarem Licht erstrahlt. Am dritten Tage nach der Geburt
zieht Maria in einen Stall und legt das Kind dort in eine Krippe,
am sechsten Tage gelangen sie nach Bethlehem. Origenes macht
in der Schrift Contra Celsum I 51 die Angabe δτι ακολούθως τή έν τω
εύαγγελίω περί τής γενέσεως αύτου ιστορία δείκνυται το έν Βεθλεέμ
σπήλαιον, ένθα έγεννήθη, και ή έν τω σπηλαίω φάτνη, ένθα έσπαργανώθη.
Er fügt hinzu, daß dies dort auch den Nichtchristen bekannt sei.
Diese Überschau über die ältesten Zeugen der Höhlengeburt
beweist, daß die Hirtenlegende und die Geschichte von der Höhle
einander fremd sind. Wo wirklich von der Höhle erzählt wird,
verzichtet man auf die Krippe wie im Protevangelium oder ver-
bindet beide Angaben auf künstliche Weise wie bei Ps.-Matthäus.
Andrerseits ist die Höhle unseres Wissens in keine Evangelien-
handschrift hineingekommen außer der ältesten armenischen -—
und diese nennt sie Mt. 2, 9 („der Stern . . . stand über der Höhle,
wo das Kind war1), erwähnt aber gleich darauf 2, 11 das Haus, in

1 Preuschen, Zeitschr. f. Neutest. Wissenschaft 1902, 360.
 
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