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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 2. Abhandlung): Paulus auf dem Areopag — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41997#0006
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Martin Dibelius:

Augen hat ? Hinter dem exegetischen Problem steht, wie man sieht,
die Entscheidungsfrage nach der grundsätzlichen Ausrichtung der
Rede.
Man hat nicht immer gesehen, daß auch die nächste exege-
tische Schwierigkeit mit dieser Entscheidungsfrage zusammen-
hängt. Gott hat προστεταγμένους καιρούς bestimmt und τάς ορο-
θεσίας τής κατοικίας αύτών. Wer vorher an die Völkerwelt gedacht
hat, wird es auch hier tun; er wird ohne weiteres „die Grenzen
ihrer Siedlung“ auf die Staatsgebiete der verschiedenen Nationen
beziehen (s. Deut. 32, 8). Schwieriger sind in diesem Zusammen-
hang die καιροί zu verstehen. Die einen sehen damit „das Auf-
treten, Blühen und Verschwinden der Völker“1 umschrieben, „les
saisons de leur prosperite“2, die andern erinnern an die καιροί
εθνών Luk. 21, 243. Aber dieser Ausdruck ist ein eschatologischer
Terminus, der die Zeit zwischen Jerusalems Zerstörung und dem
Anbruch des Gottesreichs bezeichnet. Von alledem ist hier keine
Rede; man kann dann nur auf Daniel 8 verweisen und an die
Perioden denken, die den einzelnen einander ablösenden Nationen
von Gott zugebilligt sind. Aber es fragt sich doch, ob der Verfasser
— des Buches oder der Rede —- den Lesern oder Hörern ein Ver-
ständnis für diese Geschichtsphilosophie der Diadochenzeit Zu-
trauen kann. Hier liegt eine erhebliche Schwierigkeit für die
geschichtlich-politische Auffassung des Ausdruckes καιροί, dann
aber auch — und dieser Folgerung ist man bisher vielfach ausge-
wichen — der ganzen zweiten Motivgruppe der Rede (V. 26. 27).
Denn bei dieser Konzentration der Motive in wenigen Versen ist
es unmöglich, die einzelnen Ausdrücke eklektisch, d. h. bald histo-
risch bald philosophisch, zu deuten. Die ganze Motivgruppe muß
einheitlich verstanden werden, oder sie wird überhaupt nicht ver-
standen.
Die andere Erklärung, die soeben als die philosophische be-
zeichnet wurde, bietet bei der Interpretation von καιροί überhaupt
keine Schwierigkeit. Denkt man einmal an das gesamte Menschen-
geschlecht und sein Wohnen auf der Erdoberfläche, so sind die fest-
gesetzten καιροί natürlich die Jahreszeiten. Das wird durch die
Worte des Paulus in Lystra, die, wie sich zeigen wird, einen der
1 Oskar Holtzmann, Das Neue Testament übersetzt und erklärt I, 410.
2 E. Jacquier, Les Actes des Apötres, 1926, S. 533.
3 So nach anderen Kirsopp Lake in The Beginnings of Christianity I,
Bd. IV (1933), 216.
 
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