Martin Dibelius:
Siedlung“ etwas anderes gemeint sein kann als die Herrschafts-
gebiete der einzelnen Nationen.
Das aber ist der Fall. Im Rahmen der von alten Zeiten her
der griechischen Wissenschaft geläufigen Zonenlehre wird immer
wieder hervorgehoben, daß von den fünf Zonen nur zwei für die
Menschen bewohnbar seien. Das kann in skeptischer Betrachtung
betont werden: wie klein ist der Raum, auf dem sich alles mensch-
liche Treiben abspielt* 1! Aber es wird auch dankbar und zum Preis
der Gottheit vermerkt, daß die beiden Zonen, die von Menschen
besiedelt werden, die unsere und die entsprechende südliche, sich
von der tropischen und den beiden arktischen Zonen vorteilhaft
unterscheiden2. In diesem Sinne hat Cicero den Gedanken von
den menschlichen Siedlungszonen im Gottesbeweis des ersten Buchs
der Tuskulanen vorgetragen und ist wohl auch darin, wie in diesem
Buch überhaupt, seinen griechischen Vorbildern gefolgt. Er spricht
von der Erde, die nur auf zwei orae bewohnbar und bebaut sei:
Hic autem, ubi habitamus, non intermitm suo tempore Ccaelum nites-
cere, arbores frondescere . . . segetes largiri fruges, florere omnia (Tusc.
disput. I 68. 69; die letzten Worte sind ein Zitat aus Ennius). Es
läßt sich nach alledem die Möglichkeit nicht bestreiten, auch die
όροΌ-εσίοα τής κατοικίας αυτών nicht geschichtlich, sondern philo-
sophisch zu deuten: es wären dann, wie namentlich Cicero zeigt,
die Grenzen der kultivierbaren Zonen gemeint, und nicht die
Staatsgrenzen3.
fassen und. ebenso wie καιροί auf die Völkergeschichte beziehen, und zwar
im gleichen Sinn, so daß von den Abgrenzungen der Siedlungszeiten die Rede
wäre. Ras scheitert, soviel ich sehe, daran, daß κατοικία hier entsprechend
dem voraufgehenden κατοικεΐν verstanden werden muß, also von Plätzen,
nicht von Perioden.
1 Vgl. Cicero De republ. VI 19 vides habitari in terra raris et angustis
in locis ... 20 omnis enim terra quae colitur a vobis .... parva quaedam insula
est . Seneca Naturales quaest. I Praefatio 8 et terrarum orbem superne
despiciens (es folgt eine Anspielung auf die Zonen) sibi ipsi dicit: hoc est illud
punctum, quod inter tot gentes ferro et igne dividitur? O quam ridiculi sunt
mortalium termini! Plinius Nat. hist. 174 haec est materia gloriae nostrae, haec
sedes. hic honores gerimus, hic exercemus imperia etc.
2 Vergil GßOrgica I 237f. has inter mediamque duae mortalibus aegris
munere concessae divom.
3 Die abendländische Lesart (D, Irenaeus) κατά την οροθεσίαν της κατοι-
κίας αύτών versteht man am besten von dieser Alternative aus. Die Variante
legt die geschichtliche Deutung fest und macht die philosophische unmög-
lich, denn die Zeiten, die Gott „gemäß der Grenze ihrer Ansiedlung“ fest-
Siedlung“ etwas anderes gemeint sein kann als die Herrschafts-
gebiete der einzelnen Nationen.
Das aber ist der Fall. Im Rahmen der von alten Zeiten her
der griechischen Wissenschaft geläufigen Zonenlehre wird immer
wieder hervorgehoben, daß von den fünf Zonen nur zwei für die
Menschen bewohnbar seien. Das kann in skeptischer Betrachtung
betont werden: wie klein ist der Raum, auf dem sich alles mensch-
liche Treiben abspielt* 1! Aber es wird auch dankbar und zum Preis
der Gottheit vermerkt, daß die beiden Zonen, die von Menschen
besiedelt werden, die unsere und die entsprechende südliche, sich
von der tropischen und den beiden arktischen Zonen vorteilhaft
unterscheiden2. In diesem Sinne hat Cicero den Gedanken von
den menschlichen Siedlungszonen im Gottesbeweis des ersten Buchs
der Tuskulanen vorgetragen und ist wohl auch darin, wie in diesem
Buch überhaupt, seinen griechischen Vorbildern gefolgt. Er spricht
von der Erde, die nur auf zwei orae bewohnbar und bebaut sei:
Hic autem, ubi habitamus, non intermitm suo tempore Ccaelum nites-
cere, arbores frondescere . . . segetes largiri fruges, florere omnia (Tusc.
disput. I 68. 69; die letzten Worte sind ein Zitat aus Ennius). Es
läßt sich nach alledem die Möglichkeit nicht bestreiten, auch die
όροΌ-εσίοα τής κατοικίας αυτών nicht geschichtlich, sondern philo-
sophisch zu deuten: es wären dann, wie namentlich Cicero zeigt,
die Grenzen der kultivierbaren Zonen gemeint, und nicht die
Staatsgrenzen3.
fassen und. ebenso wie καιροί auf die Völkergeschichte beziehen, und zwar
im gleichen Sinn, so daß von den Abgrenzungen der Siedlungszeiten die Rede
wäre. Ras scheitert, soviel ich sehe, daran, daß κατοικία hier entsprechend
dem voraufgehenden κατοικεΐν verstanden werden muß, also von Plätzen,
nicht von Perioden.
1 Vgl. Cicero De republ. VI 19 vides habitari in terra raris et angustis
in locis ... 20 omnis enim terra quae colitur a vobis .... parva quaedam insula
est . Seneca Naturales quaest. I Praefatio 8 et terrarum orbem superne
despiciens (es folgt eine Anspielung auf die Zonen) sibi ipsi dicit: hoc est illud
punctum, quod inter tot gentes ferro et igne dividitur? O quam ridiculi sunt
mortalium termini! Plinius Nat. hist. 174 haec est materia gloriae nostrae, haec
sedes. hic honores gerimus, hic exercemus imperia etc.
2 Vergil GßOrgica I 237f. has inter mediamque duae mortalibus aegris
munere concessae divom.
3 Die abendländische Lesart (D, Irenaeus) κατά την οροθεσίαν της κατοι-
κίας αύτών versteht man am besten von dieser Alternative aus. Die Variante
legt die geschichtliche Deutung fest und macht die philosophische unmög-
lich, denn die Zeiten, die Gott „gemäß der Grenze ihrer Ansiedlung“ fest-