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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 2. Abhandlung): Paulus auf dem Areopag — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41997#0009
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Paulus auf dem Areopag.

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Aber welche Erklärung ist nun die richtige ? Von der Ent-
scheidung dieser Frage hängt das Verständnis der ganzen zweiten
Motivgruppe ab, damit aber in gewissem Sinn der Areopagrede
überhaupt. Denn hier muß sich zeigen, ob die Geschichtsbetrach-
tung des Alten Testaments oder die Weltbetrachtung der Philo-
sophie, vornehmlich der stoischen, in der Areopagrede vorherrscht.
Die Meinungsverschiedenheit, die unter den Kommentatoren be-
steht, scheint kaum Hoffnung auf eine sichere Lösung zu geben.
Und doch ist eine Beantwortung der Frage möglich. Sie hat aus-
zugehen von dem Ziel der Darstellung. Gott hat die καιροί und
die οροθεσία!, τής κατοικίας festgesetzt, damit die Menschen ihn
suchen sollen (V. 27).
Der Ausdruck erinnert mit seiner unmittelbaren Beziehung auf
Gott an das Alte Testament. Aber bei näherem Zusehen ergibt
sich, daß Bedingungen und Umstände des Suchens hier und dort
völlig verschieden sind. Der alttestamentliche Fromme sucht Gott
auf, um ihm zu dienen, z. B. auf seinem Berg an heiliger Stätte
Ps. 24 (LXX:23), 6; man sucht Gottes Angesicht (ebenda und
Ps. 27 (26), 8). Wer auf Menschen sein Vertrauen setzt, der sucht
oder fragt nicht nach Gott (Jes. 31, 1). Wer sich aber zu ihm kehrt
und ihn von ganzem Herzen sucht, von dem läßt er sich finden
(Jer. 36, 13; Jes. 55, 6). Denn das Suchen Gottes ist eine Sache
des Willens. Das Suchen Gottes in der Areopagrede aber ist eine
Sache des Denkens. Gott hat sich den Menschen — nicht etwa
nur den Seinen oder seinem Volk — in allgemein bekannten und
zugänglichen Erscheinungen des Lebens soweit kundgetan, daß sie
auf seine Existenz aufmerksam werden und die entsprechenden
Schlüsse ziehen. Hier geht es nicht darum, sein Vertrauen auf
Gott zu setzen oder sich ihm im Gehorsam unterzuordnen; was
hier erstrebt wird, ist die Erkenntnis seines Wesens aus der Er-
gesetzt hat, sind natürlich die geschichtlichen Epochen der Völker. ·—Ich
glaube, daß die abendländische Textbearbeitung, die nicht einheitlich ist, mit
dem besonderen Bücherschicksal der Apostelgeschichte zusammenhängt (s.
meine Gesch. d. urchristl. Lit., Sammlung Göschen, I S. 46f.). Daß sie eine
Bearbeitung ist, ergibt sich mir vor allem daraus, daß sie Nähte (zwischen
Tradition und Bearbeitung durch den Verf.) unsichtbar macht (12, 22; 14, 7;
16, 35), Fragen beantwortet, Motive ergänzt. Vgl. meine Abhandlung „Stil-
kritisches zur Apostelgeschichte“ im Eucharisterion für Gunkel II, S. 38. 39.
42. 44 die betr. Anmerkungen. — Trotz alledem können natürlich die „abend-
ländischen“ Texte Altes aufbewahrt haben. Darum ist bei jeder wichtigen
Variante eine erneute und vorurteilslose Prüfung unerläßlich.
 
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