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Martin Dibelius:
kenntnis der Welt. Das am meisten hellenistische Buch des grie-
chischen Alten Testaments, die Sapientia Salomonis, redet 13, 6
von diesem Suchen Gottes, und begreiflicherweise redet auch Philo
davon (s. die übernächste Anmerkung). Beide brauchen übrigens,
wohl durch das Alte Testament veranlaßt, die direkte persönliche
Konstruktion: ζητεΐν τον θεόν. Aber beide verwenden das Wort
in einem völlig anderen, in einem griechischen Sinn. Denn ζητεΐν
ist das Wort der Griechen für das Aufsuchen und Untersuchen
des Wahren1 und somit auch des Göttlichen: ουτω καί ol τά θεία
ζητοΰντες νομίζουσιν heißt es bei Xenophon, Memorabilia I 1, 15;
εί εστι το θειον und τί έστι κατά την ουσίαν fragt man nach
Philo (De spec. leg. I 32) hei den ζητήσεις περί θεού. Und zu
diesem Suchen gehört das Finden nicht unbedingt; das hat Philo
richtig empfunden2. Wenn man bei ihm liest, daß das Suchen, um
seiner selbst willen und auch ohne das Finden, aufs innigste zu
erstreben sei, fühlt man sich an Lessings bekanntes Wort erinnert,
gemäß dem der Trieb nach Wahrheit, nicht die Wahrheit selbst
von Gott zu erbitten sei3. Auch der Areopagredner hat offenbar
dieser Unsicherheit Rechnung getragen, indem er das Ziel des
Suchens vorsichtig im Optativ einführte: εί άρα γε ψηλαφήσειαν
αύτόν καί εύροιεν. Es kann also nicht zweifelhaft sein, welche Art
des Suchens in der Areopagrede gemeint ist.
Zu solchem Suchen werden die Menschen veranlaßt durch die
von Gott festgesetzten καιροί und die όροθεσίαι τής κατοικίας.
Dieses Verständnis aber ergibt sich nur bei der philosophi-
1 ζητεΐν als Terminus für das Untersuchen und Erforschen bei Plato
z. B. Apol. 19 b ζητών τά τε ύπό γης καί ουράνια, 23b ταΰτ’ οδν εγώ μέν ετι καί
νυν περιιών ζητώ καί ερευνώ, Gorgias 457 d φιλονικοΰντας άλλ’ ού ζητοϋντας το
προκείμενον έν τώ λόγω, Respubl. 499a, Theaetet 201a; Marc. Aurel. II 13x
διά τεκμάρσεως ζητοΰντος; Plutarch De E apud Delphos 385c. d (ζητεΐν und
ζήτησις).
2 Philo De spec. leg. I 36 άμεινον γάρ ούδέν του ζητεΐν τον άληθή θεόν,
καν ή εΰρεσις αυτοΰ διαφεύγη δύναμιν άνθρωπίνην. Trotzdem soll man nach I 40
mit der ζήτησις nicht aufhören διά τό την σκέψιν καί άνευ τής εύρέσεως καθ’αυ-
τήν τριπόθητον είναι. Vgl. außerdem De Abrahamo 87 οί γάρ ζητοΰντες καί έπι-
ποθοΰντες θεόν άνευρεΐν und das Suchen des Öv De post. Gaini 15 und De spec.
leg. 1 345.
3 Eine Duplik, 1778, 1 am Ende: ,,wenn Gott in seiner Rechten alle
Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahr-
heit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen
hielte . . . ., ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: „Vater, gib!
Die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!“
Martin Dibelius:
kenntnis der Welt. Das am meisten hellenistische Buch des grie-
chischen Alten Testaments, die Sapientia Salomonis, redet 13, 6
von diesem Suchen Gottes, und begreiflicherweise redet auch Philo
davon (s. die übernächste Anmerkung). Beide brauchen übrigens,
wohl durch das Alte Testament veranlaßt, die direkte persönliche
Konstruktion: ζητεΐν τον θεόν. Aber beide verwenden das Wort
in einem völlig anderen, in einem griechischen Sinn. Denn ζητεΐν
ist das Wort der Griechen für das Aufsuchen und Untersuchen
des Wahren1 und somit auch des Göttlichen: ουτω καί ol τά θεία
ζητοΰντες νομίζουσιν heißt es bei Xenophon, Memorabilia I 1, 15;
εί εστι το θειον und τί έστι κατά την ουσίαν fragt man nach
Philo (De spec. leg. I 32) hei den ζητήσεις περί θεού. Und zu
diesem Suchen gehört das Finden nicht unbedingt; das hat Philo
richtig empfunden2. Wenn man bei ihm liest, daß das Suchen, um
seiner selbst willen und auch ohne das Finden, aufs innigste zu
erstreben sei, fühlt man sich an Lessings bekanntes Wort erinnert,
gemäß dem der Trieb nach Wahrheit, nicht die Wahrheit selbst
von Gott zu erbitten sei3. Auch der Areopagredner hat offenbar
dieser Unsicherheit Rechnung getragen, indem er das Ziel des
Suchens vorsichtig im Optativ einführte: εί άρα γε ψηλαφήσειαν
αύτόν καί εύροιεν. Es kann also nicht zweifelhaft sein, welche Art
des Suchens in der Areopagrede gemeint ist.
Zu solchem Suchen werden die Menschen veranlaßt durch die
von Gott festgesetzten καιροί und die όροθεσίαι τής κατοικίας.
Dieses Verständnis aber ergibt sich nur bei der philosophi-
1 ζητεΐν als Terminus für das Untersuchen und Erforschen bei Plato
z. B. Apol. 19 b ζητών τά τε ύπό γης καί ουράνια, 23b ταΰτ’ οδν εγώ μέν ετι καί
νυν περιιών ζητώ καί ερευνώ, Gorgias 457 d φιλονικοΰντας άλλ’ ού ζητοϋντας το
προκείμενον έν τώ λόγω, Respubl. 499a, Theaetet 201a; Marc. Aurel. II 13x
διά τεκμάρσεως ζητοΰντος; Plutarch De E apud Delphos 385c. d (ζητεΐν und
ζήτησις).
2 Philo De spec. leg. I 36 άμεινον γάρ ούδέν του ζητεΐν τον άληθή θεόν,
καν ή εΰρεσις αυτοΰ διαφεύγη δύναμιν άνθρωπίνην. Trotzdem soll man nach I 40
mit der ζήτησις nicht aufhören διά τό την σκέψιν καί άνευ τής εύρέσεως καθ’αυ-
τήν τριπόθητον είναι. Vgl. außerdem De Abrahamo 87 οί γάρ ζητοΰντες καί έπι-
ποθοΰντες θεόν άνευρεΐν und das Suchen des Öv De post. Gaini 15 und De spec.
leg. 1 345.
3 Eine Duplik, 1778, 1 am Ende: ,,wenn Gott in seiner Rechten alle
Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahr-
heit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen
hielte . . . ., ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: „Vater, gib!
Die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!“