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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 2. Abhandlung): Paulus auf dem Areopag — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41997#0022
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Martin Dibelius:

Bedeutung, die man nicht verkleinern darf. Das Alte Testament
legt keinen Wert darauf, Aussagen über Gottes ruhendes Sein zu
machen. In den Vordergrund stellt es Gottes Handeln und Gottes
Forderung. Auch wo von Gottes Herrsein die Rede ist, geht es
nicht zunächst um einen Zustand, sondern um die Ausübung seiner
Macht. Darum hat die Lehre von den göttlichen Eigenschaften und
zumal jene Lehre, die auf dem Weg der via negationis gewonnen
wird, keinen Platz im Alten Testament. So fehlt denn auch die
Betonung der Bedürfnislosigkeit Gottes in den kanonischen Bü-
chern des Alten Testaments vollständig. Freilich hat man mit
Recht darauf verwiesen, daß die Anschauung von einem Gott, der
keine Hilfe nötig hat, unausgesprochen hinter dem wiederholten
Spott des Deuterojesaia über die Götzen stehe1: man muß das
Götterbild an seinen Platz tragen, denn es kann nicht gehen; man
muß es annageln oder feststellen, sonst würde es wackeln. Aber
hier ist doch die Verhöhnung der Bilder das Wesentliche, und nicht
eine Bestimmung von Gottes Wesen. Das gleiche gilt von einem
Psalmwort (50, 9 L), nachdem Gott keine Tieropfer haben will, denn
— aber nun lautet die Begründung nicht, wie eine griechische
Opferkritik lauten könnte: er bedarf keiner Sättigung, sondern
echt alttestamentlich: Gott ist der Herr aller Tiere.
Nur zweimal wird in der LXX betont, daß Gott keines Dinges
bedarf, und gerade diese zwei Stellen beweisen die griechische Her-
kunft des Gedankens: sie stehen im II. und III. Makkabäerbuch,
also in späten rein griechischen Texten, die sprachlich und gedank-
lich aus dem Alten Testament heraustreten. Beide Male handelt
es sich um Tempelgebete, beide Male wird in dem betreffenden
Satz die Existenz eines Tempels gerechtfertigt angesichts der Tat-
sache, daß Gott nichts nötig hat: σύ κύριε των όλων άπροσδεής
υπάρχων ηύδόκησας ναόν τής σής σκηνώσεως έν ήμιν γενέσβ-αι (II.
Makk. 14, 35) und ήγιάσας τον τόπον τούτον εις όνομά σοι τω των
απάντων άπροσδεεΐ (III. Makk. 2, 9).
Wenn so Wort und Begriff „bedürfnislos“ in Anwendung auf
Gott am Rande der griechischen Bibel auftauchen, so darf man
erwarten, sie auch bei Philo und Josephus zu finden. Das ist in
der Tat der Fall. Es wurde bereits erwähnt, daß Philo wie der
Areopagredner die Bedürfnislosigkeit Gottes im Zusammenhang

1 Heinrich Greeven im Theo], Wörterbuch II, 41.
 
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