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Martin Dibelius:
sind stoisch und nicht christlich. Aber nicht nur der Areopag-
redner hat diese Gedanken ins Christentum hineingeholt. Bald
nach der Apostelgeschichte ist der I. Klemensbrief geschrieben, der
mit seinem Stil, mit seiner Ausdeutung der Sage vom Vogel Phönix
und mit der Hervorhebung der kosmischen Harmonie durchaus in
die hellenistische Literatur gehört. Dieser Brief, die Praedicatio
Petri und der Hirt des Hermas, kennen bereits Wesensbestimmun-
gen Gottes auf dem Wege der Negation (vgl. S. 21), Aussagen, die
von dem philosophischen Wunsch getragen sind, das Wesen Gottes
zu bestimmen, und nicht von dem anderen, seinen Forderungen zu
gehorchen. Die Apologeten des zweiten Jahrhunderts aber haben
diese philosophische Theologie und dieses Bemühen um das Wesen
Gottes und seine Erkennbarkeit, um das Erschließen Gottes aus
Wesen und Sinn der Welt in den Vordergrund gestellt. Der Areopag-
redner ist der Vorläufer der Apologeten.
Die Kirche aber ist ihnen gefolgt und nicht dem Paulus. Sie
glaubte hier keine Ketzerei abwehren zu müssen wie bei der radikal-
dualistischen gnostischen Auffassung von Mensch und Gott. Sie
nutzte die Gelegenheit, ihre Lehre der hellenistischen Bildungswelt
einzugliedern. Sie vermied auf diese Weise das Eindringen barba-
rischer Mythologeme, aber sie gab den numinosen Ernst der bibli-
schen Gottesverkündigung preis, die nicht Gottes Wesen erkennen,
sondern sich im Glauben ihm unterordnen will. Sie lieferte Gottes-
beweise und konstatierte Eigenschaften Gottes, sie erschloß aus der
Weltbetrachtung eine Gotteslehre, und sie drängte die Eschatologie,
das Zentrum der urchristlichen Predigt, dorthin, wo sie in der
Areopagrede ihren Platz hat: ans Ende.
Die Größe dieser Wandlung ist nicht leicht zu überschätzen.
Denn die ganze kirchliche Theologie ist davon betroffen. Soweit
es sich um Gotteslehre handelte, ist sie immer mehr in den Spuren
der Apologeten, also der Philosophen, gegangen als auf der Linie
alt- und neutestamentlichen Gottesglaubens. Es muß zugegeben
werden, daß sie durch die Gnosis gezwungen wurde, philosophisch
von Gott zu reden, aber daß sie es in diesem Maße konnte, ist ein
Zeichen der Hellenisierung ihrer Theologie. Spekulationen über
Gott als das Eine, als die einzige Substanz, Wesensbestimmungen
Gottes auf dem Wege der Negation, das alles bekundet, daß die
Theologen der Kirche vor allem Wert darauf legten, über Gott
richtig zu denken1. Hier liegt die tiefste Ursache nicht nur des
1 Vgl. zum ganzen Thema jetzt Walther Köhler, Dogmengeschichte,
Martin Dibelius:
sind stoisch und nicht christlich. Aber nicht nur der Areopag-
redner hat diese Gedanken ins Christentum hineingeholt. Bald
nach der Apostelgeschichte ist der I. Klemensbrief geschrieben, der
mit seinem Stil, mit seiner Ausdeutung der Sage vom Vogel Phönix
und mit der Hervorhebung der kosmischen Harmonie durchaus in
die hellenistische Literatur gehört. Dieser Brief, die Praedicatio
Petri und der Hirt des Hermas, kennen bereits Wesensbestimmun-
gen Gottes auf dem Wege der Negation (vgl. S. 21), Aussagen, die
von dem philosophischen Wunsch getragen sind, das Wesen Gottes
zu bestimmen, und nicht von dem anderen, seinen Forderungen zu
gehorchen. Die Apologeten des zweiten Jahrhunderts aber haben
diese philosophische Theologie und dieses Bemühen um das Wesen
Gottes und seine Erkennbarkeit, um das Erschließen Gottes aus
Wesen und Sinn der Welt in den Vordergrund gestellt. Der Areopag-
redner ist der Vorläufer der Apologeten.
Die Kirche aber ist ihnen gefolgt und nicht dem Paulus. Sie
glaubte hier keine Ketzerei abwehren zu müssen wie bei der radikal-
dualistischen gnostischen Auffassung von Mensch und Gott. Sie
nutzte die Gelegenheit, ihre Lehre der hellenistischen Bildungswelt
einzugliedern. Sie vermied auf diese Weise das Eindringen barba-
rischer Mythologeme, aber sie gab den numinosen Ernst der bibli-
schen Gottesverkündigung preis, die nicht Gottes Wesen erkennen,
sondern sich im Glauben ihm unterordnen will. Sie lieferte Gottes-
beweise und konstatierte Eigenschaften Gottes, sie erschloß aus der
Weltbetrachtung eine Gotteslehre, und sie drängte die Eschatologie,
das Zentrum der urchristlichen Predigt, dorthin, wo sie in der
Areopagrede ihren Platz hat: ans Ende.
Die Größe dieser Wandlung ist nicht leicht zu überschätzen.
Denn die ganze kirchliche Theologie ist davon betroffen. Soweit
es sich um Gotteslehre handelte, ist sie immer mehr in den Spuren
der Apologeten, also der Philosophen, gegangen als auf der Linie
alt- und neutestamentlichen Gottesglaubens. Es muß zugegeben
werden, daß sie durch die Gnosis gezwungen wurde, philosophisch
von Gott zu reden, aber daß sie es in diesem Maße konnte, ist ein
Zeichen der Hellenisierung ihrer Theologie. Spekulationen über
Gott als das Eine, als die einzige Substanz, Wesensbestimmungen
Gottes auf dem Wege der Negation, das alles bekundet, daß die
Theologen der Kirche vor allem Wert darauf legten, über Gott
richtig zu denken1. Hier liegt die tiefste Ursache nicht nur des
1 Vgl. zum ganzen Thema jetzt Walther Köhler, Dogmengeschichte,