Paulus auf dem Areopag.
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Verehren des Unbekannten keine Rede mehr sein. Von Schuld und
Gnade wird nichts ausdrücklich gesagt; die alte und die neue Zeit
unterscheiden sich wie Unwissenheit und Erkenntnis. Paulus aber
redet in dem heilsgeschichtlichen Gedankengang des Römerbriefs
(3, 25 f.) davon, daß die alte Zeit eine Periode göttlicher Geduld
war. Es häuften sich die Sünden der Menschheit, aber Gott ließ
sie hingehen (πάρεσις). Nun hat er — und damit beginnt die neue
Zeit — im Tode Christi kundgemacht, daß alles Vergangene ge-
sühnt ist (ίλαστήριον) und zugleich in seiner Gnade das Geschenk
der Gerechtigkeit verliehen an jeden, der glaubt. Alte und neue
Zeit verhalten sich also wie Sünde und Gnade. Die Teilung in zwei
Zeiten ist bei Paulus und in der Apostelgeschichte dieselbe, aber
was diese Zeiten bestimmt, das ist im Römerbrief aus der alttesta-
mentlich-christlichen Idee von dem gerechten Gott entwickelt,
dem sich der Mensch zu stellen hat, in der Areopagrede aus der
griechischen Auffassung von Gott als dem Objekt menschlicher
Erkenntnis. Es sind zwei verschiedene geistige Welten.
Und in diesem Zusammenhang darf endlich noch einmal das
Wort τϊίατις erwähnt werden, das die Areopagrede 17, 31 so völlig
unpaulinisch im Sinne von „Reweis“ braucht. Gott wird die Welt
richten durch den Mann, den er erwählt hat, nachdem er mit dessen
Auferstehung ,,allen einen Reweis (für seine Erwählung) geliefert
hat“ (πίστιν παρασχών πασι). Die abendländische Lesart πίστιν
παρεσχειν wird durch die Lateiner d und gig als Infinitiv παρασχεΐν
gesichert. Dann aber verleiht sie dem Ganzen einen andern Sinn:
„durch den Mann, den er erwählt hat, um allen Glauben (d. h. die
Möglichkeit des Glaubens) zu gewähren, nachdem er ihn von den
Toten hat auferstehen lassen“. Der Satz hat seinen fremdartigen
Charakter verloren und fügt sich der allgemein christlichen Ver-
kündigung ein. Die Handschrift D aber erweist aufs neue, daß sie
bemüht ist, hellenistische Elemente der Areopagrede auf die christ-
liche Linie zu rücken und der Rede so das Fremdartige zu nehmen1.
So fremdartig sie im Neuen Testament ist (abgesehen von
Act. 14, 15—17), so verwandt ist sie der hellenistischen, zumal der
stoischen Philosophie. Die Analyse hat gezeigt, daß es nicht nur
Regleitmotive sind, die daher stammen; die Hauptgedanken der
Rede von Gotteserkenntnis und Gottverwandtschaft des Menschen
1 Es sei nochmals verwiesen auf προτεταγμένους statt προστεταγμένους
und auf κατά τήν οροθεσίαν in 17, 26, sowie auf die Einführung des Jesus-
Namens 17, 31.
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Verehren des Unbekannten keine Rede mehr sein. Von Schuld und
Gnade wird nichts ausdrücklich gesagt; die alte und die neue Zeit
unterscheiden sich wie Unwissenheit und Erkenntnis. Paulus aber
redet in dem heilsgeschichtlichen Gedankengang des Römerbriefs
(3, 25 f.) davon, daß die alte Zeit eine Periode göttlicher Geduld
war. Es häuften sich die Sünden der Menschheit, aber Gott ließ
sie hingehen (πάρεσις). Nun hat er — und damit beginnt die neue
Zeit — im Tode Christi kundgemacht, daß alles Vergangene ge-
sühnt ist (ίλαστήριον) und zugleich in seiner Gnade das Geschenk
der Gerechtigkeit verliehen an jeden, der glaubt. Alte und neue
Zeit verhalten sich also wie Sünde und Gnade. Die Teilung in zwei
Zeiten ist bei Paulus und in der Apostelgeschichte dieselbe, aber
was diese Zeiten bestimmt, das ist im Römerbrief aus der alttesta-
mentlich-christlichen Idee von dem gerechten Gott entwickelt,
dem sich der Mensch zu stellen hat, in der Areopagrede aus der
griechischen Auffassung von Gott als dem Objekt menschlicher
Erkenntnis. Es sind zwei verschiedene geistige Welten.
Und in diesem Zusammenhang darf endlich noch einmal das
Wort τϊίατις erwähnt werden, das die Areopagrede 17, 31 so völlig
unpaulinisch im Sinne von „Reweis“ braucht. Gott wird die Welt
richten durch den Mann, den er erwählt hat, nachdem er mit dessen
Auferstehung ,,allen einen Reweis (für seine Erwählung) geliefert
hat“ (πίστιν παρασχών πασι). Die abendländische Lesart πίστιν
παρεσχειν wird durch die Lateiner d und gig als Infinitiv παρασχεΐν
gesichert. Dann aber verleiht sie dem Ganzen einen andern Sinn:
„durch den Mann, den er erwählt hat, um allen Glauben (d. h. die
Möglichkeit des Glaubens) zu gewähren, nachdem er ihn von den
Toten hat auferstehen lassen“. Der Satz hat seinen fremdartigen
Charakter verloren und fügt sich der allgemein christlichen Ver-
kündigung ein. Die Handschrift D aber erweist aufs neue, daß sie
bemüht ist, hellenistische Elemente der Areopagrede auf die christ-
liche Linie zu rücken und der Rede so das Fremdartige zu nehmen1.
So fremdartig sie im Neuen Testament ist (abgesehen von
Act. 14, 15—17), so verwandt ist sie der hellenistischen, zumal der
stoischen Philosophie. Die Analyse hat gezeigt, daß es nicht nur
Regleitmotive sind, die daher stammen; die Hauptgedanken der
Rede von Gotteserkenntnis und Gottverwandtschaft des Menschen
1 Es sei nochmals verwiesen auf προτεταγμένους statt προστεταγμένους
und auf κατά τήν οροθεσίαν in 17, 26, sowie auf die Einführung des Jesus-
Namens 17, 31.