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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 2. Abhandlung): Paulus auf dem Areopag — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41997#0040
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Martin Dibelius:

ist (Rom. 1—3), und zwar wesenhaft, und nicht erst, nachdem jeder
einzelne einmal gegen Gottes Forderung verstoßen hat. Diese Ent-
fremdung heißt 'Αμαρτία im Singular; und von dieser Sündenmacht
wird Röm. 7, 17. 20 gesagt, daß sie im Menschen hause und mit
ihm schalte nach ihrem Willen. Der Mensch ist Gott nicht nahe,
sondern feindlich (Röm. 5, 10); er bedarf der Versöhnung mit Gott,
und die wird ihm durch Christus zuteil und nicht durch seine eigene
Art (II. Kor. 5, 20. 21 j1. Auch den Christen würde Paulus übri-
gens nie so unmittelbar zu Gott in Beziehung setzen wie der
Areopagredner den Menschen (oder wie jenes Lutherlied oder wie
der I. Johannesbrief des Neuen Testaments 2, 5 und wahrschein-
lich 5, 182 den Christen). Zu sehr ist er erfüllt von der Scheu vor
Gott dem Herrn aller Dinge, zu sehr ist er durchdrungen von den
alttestamentlichen Gedanken über seine Unnahbarkeit, zu unmög-
lich erscheint ihm das Prädikat Εεΐος für irgendeinen Menschen.
Er lebt ,,in Christus“, aber nicht ,,in Gott“, er kann von Verwand-
lung zum Bilde Christi reden (II. Kor. 3, 18), aber nicht von Apo-
theose.
Was den Paulus der Apostelgeschichte von dem wirklichen
Paulus trennt, kann noch an ein paar Einzelheiten gezeigt werden.
Die Areopagrede spricht von Perioden der Unwissenheit; gemeint
sind die Zeiten, da die Menschen zwar jene natürliche Gottes-
eikenntnis besaßen, aber sich von ihr nur zur Verehrung des Un-
bekannten antreiben ließen. Jetzt kommt in der christlichen Bot-
schaft sichere Kunde von Gott zu ihnen — und dazu gehört auch
dies, daß Gott jene Periode, da sie unwissend verehrten, nicht mehr
ansehen will. Weil er jetzt auch den Heiden die Botschaft sendet,
die ihn bekannt macht, soll von dem mehr ahnenden als wissenden

1 Die berühmte Ausführung des Römerbriefs 2, 14—16 über die Heiden,
die das Gesetz befolgen, ohne es zu kennen, gehört aus zwei Gründen nicht
hierher. Einmal ist das Tun der Heiden nur relativ gut, wie 2, 15 zeigt, und
wird herausgehoben, um die Juden zu beschämen; sodann handelt es sich
nicht um natürliche Theologie, sondern um natürliche Ethik. Die Heiden
wissen (dank den Weisungen ihres Herzens) nicht von Gott, sondern vom
Guten.
2 Dort ist von dem γεγεννημένος έκ θεοΰ die Rede, der nicht sündigt
In der Fortsetzung ist mit der lateinischen Vulgata und zwei griechischen
Minuskelhandschriften wahrscheinlich zu lesen ή γέννησις τοΰ θεού τηρεί
αύτόν statt ό γεννηθείς έκ 9-εοΰ s. Harnack;, Sitzungsberichte der Berliner
Akademie 1915, 534ff. Dann ist nach dieser Stelle der Christ unmittelbar aus
Gott erzeugt.
 
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