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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 2. Abhandlung): Paulus auf dem Areopag — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41997#0039
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Paulus auf dem Areopag.

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die Menschen hat Gott sie gewissermaßen selbst zum Sachen der
Gottheit aufgefordert. So kommt es, daß sie ihn, ohne von ihm
aus der Offenbarung zu wissen, verehren (δ ούν άγνοοΰντες εύσε-
βεΐτε 17, 23) — und das beweist jener Altar mit der Inschrift
,,dem unbekannten Gott“. Der Widerspruch zwischen Römerbrief
und Areopagrede ist deutlich. Beide erwähnen zwar die Erkenntnis
Gottes aus Schöpfung oder Ordnung der Welt; aber nach der
Rede führt diese Erkenntnis zum ahnenden „Begreifen“ und Ver-
ehren Gottes, nach dem Brief führt sie zwar zur Kenntnis Gottes,
aber zugleich zur Verkennung seiner Herrschaft, zur Verweigerung
des echten Gottesdienstes und zur Verstrickung in falschen Bilder-
dienst. Vom Irrtum des Bilderdienstes ist im Röm. 1, 23. 25 in
empörtem Ton die Rede, Apg. 17, 29 korrigiert ihn in mahnendem
und zurechtweisendem Ton.
Den zweiten Beweis für die Gotteserkenntnis des natürlichen
Menschen liefert der Areopagrede die Verwandtschaft des
Menschen mit Gott. Davon ist nun bei Paulus überhaupt nicht
die Rede. Freilich hat er in immer neuen Wendungen, die teils an
die Sprache der Mystik, teils an die der Mysterien anklingen, die
Nähe des Menschen zu Christus betont. Aber hier sind Subjekt
und Objekt der Beziehung andere als in der Areopagrede: es han-
delt sich nicht um Gottes-Gemeinschaft, sondern in erster Linie
immer um Christus-Gemeinschaft; die nahe Beziehung zu Gott
wird nur durch Christus hergestellt. Vor allem aber ist der Mensch,
der in diese nahe Beziehung zur göttlichen Welt tritt, nicht der
Mensch schlechthin, sondern der erlöste Mensch, der Träger des
heiligen Geistes, der Christ, der nicht nur zur Gemeinde gehört,
sondern wiiklich Christus angehört. Der Areopagredner aber wendet
sich gerade an Nichtchristen, und nennt gerade sie Gottes Ge-
schlecht. Es ist sehr bezeichnend, wie Luther diese Worte der
Areopagrede poetisch verwendet hat. In dem Weihnachtsliede
„Vom Himmel kam der Engel Schar“ beginnt er die Schlußstrophe:
Zu letzt müßt ihr doch haben recht,
Ihr seid nu worden Gotts Geschlecht.
Diejenigen, die „nun“ zu Gottes Geschlecht erst geworden sind,
können nur die Christen sein; das „nun“ ist weihnachtlich be-
stimmt. Die Menschen aber, die der Areopagredner Gottes Ge-
schlecht heißt, sind seine heidnischen Hörer.
Paulus hätte so niemals geschrieben. Er ist zu tief durch-
drungen von der Überzeugung, daß der Mensch Gott entfremdet
 
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