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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 2. Abhandlung): Paulus auf dem Areopag — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41997#0056
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Martin Dibelius: Paulus auf dem Areopag.

der heidnischen Weise, Gott zu erkennen, als von der christlichen
reden. Allerdings ist dieser Gott eben Vater Jesu Christi, den der
Apostel wirklich kennt, während seine Hörer ihn nur ahnen. Aller-
dings soll diese Botschaft wirklich eine Hinführung zum christ-
lichen Heil bedeuten, während die Hörer nach ihr nur als nach
etwas Neuem verlangen. Aber das Wort des Apostels bedeutet
weniger ein Gericht über die Verlorenheit der Heiden als eine Er-
füllung ihrer unbewußten Sehnsucht.
Paulus hätte auch anders auftreten können. Er hätte den
Gegensatz zeigen können. Er wäre dann an der Stätte wunder-
barster Tempel und herrlicher Bilder mit der krassen Erzählung
vom gehenkten Heiland1 aufgetreten. Er hätte dann dem gott-
verwandten Menschen den an die Sünde verkauften, dem freien
Weisen mit all seinem Stolz den von Christus zum Dienst der Liebe
Befreiten gegenübergestellt. Der Verfasser wäre dem wirklichen
Paulus damit gerechter geworden als mit der Areopagrede. Aber
er hätte auch der Gegenwart und Zukunft des Christentums nicht
den Dienst geleistet, den ihr sein Buch leisten sollte: zu zeigen,
wie das Evangelium in die Welt hinaus gelangte und wie es dieser
Welt verkündigt werden müsse. So ließ er seinen Paulus predigen,
ließ ihn an einer der vornehmsten Stätten Griechenlands so pre-
digen, wie er meinte, daß zu seiner Zeit den Griechen gepredigt
werden solle: mit philosophischen Beweisen, unter relativer Aner-
kennung des griechischen Monotheismus, mit Berufung auf die von
griechischen Dichtern ausgesprochene Weisheit.
Lukas entfernte sich dabei nur zu sehr von dem Paulus, der
der Theologe der Paradoxa Gnade und Glaube gewesen war. Er
gab aber für die Zukunft die Losung aus, daß die christliche Bot-
schaft mit den Mitteln hellenistischer Bildung zu verbreiten sei.
Und wenn man mit Hecht gesagt hat, daß die folgenden christ-
lichen Generationen den wirklichen Paulus mißverstanden haben —,
diesen von Lukas geschaffenen Areopagredner haben sie verstan-
den! Paulus auf dem Areopag — das bedeutet nicht eine histo-
rische, sondern eine symbolische Begegnung. Die Areopagrede
ward zum Wahrzeichen christlicher Theologie auf dem Boden grie-
chischer Geistesbildung.
1 Man muß einen so anstößigen Ausdruck wählen, um sich die wirk-
lichen Assoziationen der Hörer des Paulus deutlich zu machen. Unser Wort
„Kreuz“ ist dafür zu sehr mit Heiligkeit belastet. Erst wenn man sich das Woit
vom Kreuz (I. Kor. 1, 18) als das Wort vom Galgen vergegenwärtigt, begreift
man, warum es den Juden als ein Ärgernis, den Heiden als eine Torheit, gilt.
 
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