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Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0057
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Identität und Objektivität

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in Kants Werk regelmäßig Objektdefinitionen, in denen die gegebenen
Erscheinungen Objekten als Prädikate zugeordnet sind: «Die Er-
scheinung hat ein Objekt, wenn sie ein Prädikat von einer Substanz
ist, d. i. eine von den Arten ist, dasjenige zu erkennen, was da be-
harret» (Reflexion 5221); «denn wir kennen ein Objekt nur als ein
Etwas überhaupt, dazu die gegebene(n) Anschauungen nur Prädikate
sind» (Reflexion 5643). Diese Reflexionen geben allerdings zu er-
kennen, daß sie ihre Evidenz nicht aus einer Analyse der Form des
kategorischen Satzes, sondern als eine Konsequenz aus dem Daten-
sensualismus in der kantischen Vorstellung von der sinnlichen Er-
scheinung gewinnen. Dennoch ist auch für ihre Verständlichkeit die
Anspielung auf die kategorische Urteilsform, in der allein Prädikate
zugesprochen werden, eine unerläßliche Bedingung.
Wir wissen nicht, wann Kant diesen Zusammenhang zum ersten
Mal zu einer Theorieskizze ausgearbeitet hat, welche die verschiedenen
Aspekte der kategorischen Urteilsform nicht mehr ununterschieden
läßt und sie damit zugleich sozusagen promiskue in der Lehre von der
Objektivität in Anspruch nimmt. Wäre das auch erst zu der späten
Zeit geschehen, aus der das einzige Dokument mit einigermaßen aus-
gearbeitetem Gedankengang stammt, so wäre es doch erlaubt, diese
Theorieskizze auch zur Interpretation früherer Texte und insbesondere
der Kritik der reinen Vernunft aufzubieten. Denn die <Kritik> bedarf
eines solchen Theorems; in dem Theoriezusammenhang, den sie aus-
drücklich entwickelt, ist der Platz für es markiert; der Fortschritt
in dessen Darstellung, dessen sich Kant bewußt war, ergab sich daraus,
die Definition des Urteils stärker zur Geltung zu bringen; und schließ-
lich gibt es Texte genug, die nur im Zusammenhang des Theorems über
Urteilssubjekt und Objekt zu interpretieren sind. Allerdings formu-
liert auch der Text, der Kants Argument über Urteil und Objekt ein-
deutig an eine Analyse des Verhältnisses von Urteilssubjekt und
Objekt bindet, nur Thesen, keine Argumente. Die Argumentation
muß in toto nachträglich in den Rahmen der Kantischen Theorie
eingebracht werden.

4. Konsequenzen und Grenzen des Arguments
Gegen die Behauptung, man müsse zwischen Erscheinungen und Ob-
jekten eine Verschiedenheit der Dimension ansetzen, weil Objekte,
 
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