Euripides’ Medea
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der Monolog, wie das Übermaß an Haß und Eifersucht die Vernunft bei-
seite schiebt, deren Weisung die Greuel hätte verhüten können. Euripi-
des’ Medea konnte den Monolog schwerlich mit dem Schwert in der
Hand sprechen, wie wir es auf einem grandiosen Wandbild in Pompeji
sehen.36
Daß man Euripides’ 'Medea’ so früh als Leidenschaftsdrama mißver-
standen und nachgeahmt hat, ist angesichts des gewöhnlichen Mechanis-
mus, den griechische Psychologie vorsieht, gar nicht verwunderlich. Ihr
zufolge bewirkt stets die Leidenschaft Schlimmes, der Verstand aber das
Rechte, wie es Plutarch im Anschluß an ein verschollenes Medea-Drama
formuliert37. Auch Medea selbst bedient sich bei Euripides dieses Sche-
mas, um Jason mit einer allgemein einleuchtenden Erwägung hinters
Licht zu führen: Wenn sie der Leidenschaft folgt, wird sie Unheil an-
richten, während der Verstand sie zu friedlichem und rechtem Tun leitet.
Die Breitenwirkung einer popularisierten Philosophie in hellenistisch-
römischer Zeit hat diesen schematischen psychologischen Dualismus und
die ihm entsprechenden Kategorien moralischer Wertung im allgemeinen
Bewußtsein sehr tief befestigt. Das mag ein Grund dafür sein, daß un-
gleich differenziertere Widerspiegelungen seelischer Vorgänge, die das
klassisch-attische Drama enthält, in der nachklassischen Literatur nur
selten ihresgleichen haben. Im Sinn dieses vereinfachenden Dualismus
aber las, verstand und imitierte man auch klassische Dramen wie die
‘Medea’, und an diese, etwa im Werk Senecas repräsentierte Rezeptions-
phase knüpft auch die Wiederbelebung der antiken Theatertradition in
Renaissance und Barock an.
Nach der geläufigen stoischen, aber auch mittelplatonisch-peripateti-
schen Definition ist der Affekt des Zornes eine έπιθυμία τιμωρίας, ein
vernunftwidriger Drang zur Vergeltung wirklich oder vermeintlich emp-
fangenen Unrechts38, und θυμός Bezeichnung für den vernunftlosen
Handlungsimpuls. Was Wunder, daß man bei der Lektüre der euripidei-
schen 'Medea’ den Vergeltungsdrang, von dem die Heldin so oft spricht,
als Leidenschaft auffaßte und auf ihren θυμός bezog, den sie als stärker
erkennt als ihre βουλεύματα, ihre Pläne. Aber das Spiel der Kräfte und
Impulse ist in der 'Medea’, wie wir gesehen haben, viel reicher und diffe-
renzierter. Gewiß fehlt, wie der erste Teil der Tragödie zeigt, die emotio-
nale Disposition der Heroine für die Rachehandlung keineswegs. Aber
die eigentliche Vergeltungsforderung kommt aus dem kriegerisch-männ-
lichen Ehrenkodex, an den sie sich gebunden weiß und auf den sie sich
wieder und wieder bezieht. Noch im letzten Dialog mit Jason, nach der
Katastrophe, rechtfertigt sie ihr Tun mit diesem Motiv (1355): Du woll-
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der Monolog, wie das Übermaß an Haß und Eifersucht die Vernunft bei-
seite schiebt, deren Weisung die Greuel hätte verhüten können. Euripi-
des’ Medea konnte den Monolog schwerlich mit dem Schwert in der
Hand sprechen, wie wir es auf einem grandiosen Wandbild in Pompeji
sehen.36
Daß man Euripides’ 'Medea’ so früh als Leidenschaftsdrama mißver-
standen und nachgeahmt hat, ist angesichts des gewöhnlichen Mechanis-
mus, den griechische Psychologie vorsieht, gar nicht verwunderlich. Ihr
zufolge bewirkt stets die Leidenschaft Schlimmes, der Verstand aber das
Rechte, wie es Plutarch im Anschluß an ein verschollenes Medea-Drama
formuliert37. Auch Medea selbst bedient sich bei Euripides dieses Sche-
mas, um Jason mit einer allgemein einleuchtenden Erwägung hinters
Licht zu führen: Wenn sie der Leidenschaft folgt, wird sie Unheil an-
richten, während der Verstand sie zu friedlichem und rechtem Tun leitet.
Die Breitenwirkung einer popularisierten Philosophie in hellenistisch-
römischer Zeit hat diesen schematischen psychologischen Dualismus und
die ihm entsprechenden Kategorien moralischer Wertung im allgemeinen
Bewußtsein sehr tief befestigt. Das mag ein Grund dafür sein, daß un-
gleich differenziertere Widerspiegelungen seelischer Vorgänge, die das
klassisch-attische Drama enthält, in der nachklassischen Literatur nur
selten ihresgleichen haben. Im Sinn dieses vereinfachenden Dualismus
aber las, verstand und imitierte man auch klassische Dramen wie die
‘Medea’, und an diese, etwa im Werk Senecas repräsentierte Rezeptions-
phase knüpft auch die Wiederbelebung der antiken Theatertradition in
Renaissance und Barock an.
Nach der geläufigen stoischen, aber auch mittelplatonisch-peripateti-
schen Definition ist der Affekt des Zornes eine έπιθυμία τιμωρίας, ein
vernunftwidriger Drang zur Vergeltung wirklich oder vermeintlich emp-
fangenen Unrechts38, und θυμός Bezeichnung für den vernunftlosen
Handlungsimpuls. Was Wunder, daß man bei der Lektüre der euripidei-
schen 'Medea’ den Vergeltungsdrang, von dem die Heldin so oft spricht,
als Leidenschaft auffaßte und auf ihren θυμός bezog, den sie als stärker
erkennt als ihre βουλεύματα, ihre Pläne. Aber das Spiel der Kräfte und
Impulse ist in der 'Medea’, wie wir gesehen haben, viel reicher und diffe-
renzierter. Gewiß fehlt, wie der erste Teil der Tragödie zeigt, die emotio-
nale Disposition der Heroine für die Rachehandlung keineswegs. Aber
die eigentliche Vergeltungsforderung kommt aus dem kriegerisch-männ-
lichen Ehrenkodex, an den sie sich gebunden weiß und auf den sie sich
wieder und wieder bezieht. Noch im letzten Dialog mit Jason, nach der
Katastrophe, rechtfertigt sie ihr Tun mit diesem Motiv (1355): Du woll-