Euripides’ Medea ■ Anmerkungen
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seitedrängt und Medea zur Mordtat treibt, ist dort in einem großen, gewiß nicht
ohne Anlehnung an Euripides entstandenen Monolog beschrieben (vor allem v.
lf. und llf. ήδη γάρ με φοινία μέγαν δέδυκε λύσσα θυμόν).
14 Leider wissen wir nicht ganz genau, in welchem Zusammenhang Chrysipp die
Verse 1078/79 aus der ‘Medea’ des Euripides zitierte. Sicher ist nur folgendes: Es
war Chrysipps Bestreben, Affekte und Leidenschaften entweder als rein körper-
liche, etwa vom Herzen herkommende Spontanregungen oder als unmittelbare
Folge eines intellektuellen Fehlurteils (κρίσις) zu erweisen, keinesfalls aber als
Wirkungen einer selbständigen, in der Seele bzw. ihrem Leitorgan zu suchenden
irrationalen Kraft. Demgegenüber stimmte die Vulgärmeinung mit der platonisch-
aristotelischen Tradition und auch mit der Lehre der frühesten Stoiker darin über-
ein, daß das Leitorgan der menschlichen Seele rationale und irrationale Teile oder
Kräfte enthalte, das irrationale Seelenleben also nicht auf die bloße unbewußte
Steuerung vegetativ-animalischer Vorgänge wie Wachstum oder Ernährung be-
schränkt sei. Zur Verdeutlichung seiner Lehre hatte Chrysipp eine große Anzahl
von Zitaten aus Epos und Drama zusammengestellt, deren verkehrte Interpreta-
tion ihm vor allem Galen in seiner Polemik gegen die orthodox-stoische Psycholo-
gie und ihren starren Intellektualismus vorhielt (de Hipp, et Plat. plac. 3.2 p. 260ff.
Müller = S. V. F. 2, 906). In diesem Zusammenhang tadelt Galen auch Chrysipps
verkehrte Verwendung der beiden Verse aus der 'Medea’, die doch deutlich den
Konflikt zweier miteinander in Streit liegender innerseelischer Faktoren bezeugten
(p. 272f.). Galen kommt auf diese Fehlinterpretation des öfteren zurück (p. 274;
382; 472), da wohl auch Chrysipp die Verse in verschiedenen Zusammenhängen
zitierte. Galen stützt sich in der Polemik gegen die Affektenlehre Chrysipps aus-
giebig auf Poseidonios, der eine aristotelisierende, mit der Annahme selbständiger
irrationaler Seelenkräfte operierende Psychologie in die stoische Lehre gegen Chry-
sipp einzuführen suchte. Der Umfang der Benutzung der poseidonianischen
Schrift περί παθών durch Galen ist dabei nicht eindeutig zu bestimmen. Er geht
jedoch mit großer Sicherheit über die ausdrücklich bezeichneten Zitate (fr. 34;
165; 166 Edelstein-Kidd) hinaus, und darum darf man auch annehmen, daß schon
Poseidonios auf Chrysipps Benutzung der Medea-Verse Bezug nahm. (Zum Gan-
zen immer noch grundlegend Μ. Pohlenz, De Posidonii libris π. παθών: Fleck-
eisens Jahrbuch Suppl. 24, 1898, 534ff., dessen Analysen inzwischen in die Hand-
bücher eingegangen sind.)
Jedenfalls dienen die Medea-Verse 1078/79 in der Literatur der Kaiserzeit,
innerhalb wie außerhalb der Philosophie, immer wieder dazu, die Zweiteilung der
Seele in einen rationalen und einen irrationalen Bestandteil zu illustrieren und die
Möglichkeit einer emotional motivierten Fehlhandlung wider besseres Wissen zu
begründen: Medeas θυμός - Hierokles (in carm. aur. 8,4 p. 32 Koehler) setzt ihn
gemäß stoischer Klassifizierung mit der έπιθυμία gleich - will den Tod der Kinder
und setzt sich damit gegen die Vernunft durch, die das Ausmaß des Verbrechens
richtig abschätzt. Viele Stellen hat bereits Prinz zu Eur. Med. 1078 gesammelt:
Plut. de vit. pud. 533 D; Albin, epit. 24,3 Louis; Galen, plac. Hipp, et Plat. 3,2 p.
272 Müller u. ö.; Ael. Aristid. or. 50 p. 565 Dind.; Clem. Alex, ström. 2,63,3;
Synes. de regn. 11a; Simplic. in Epict. ench. 1,4 p. 18 Dübner; Stob. 3,20,37
p. 547 W. H.; Eustrat. in Arist. eth. Nie. p. 279/80 Heylbut; Luc. apol. 10, wo
das Verspaar parodiert wird; Simplic. in Arist. categ. p. 61 Brandes; Cramer,
Anecd. Par. 4,398. Dazu kommt Liban. or. 64, 110; progymn. 9,32.
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seitedrängt und Medea zur Mordtat treibt, ist dort in einem großen, gewiß nicht
ohne Anlehnung an Euripides entstandenen Monolog beschrieben (vor allem v.
lf. und llf. ήδη γάρ με φοινία μέγαν δέδυκε λύσσα θυμόν).
14 Leider wissen wir nicht ganz genau, in welchem Zusammenhang Chrysipp die
Verse 1078/79 aus der ‘Medea’ des Euripides zitierte. Sicher ist nur folgendes: Es
war Chrysipps Bestreben, Affekte und Leidenschaften entweder als rein körper-
liche, etwa vom Herzen herkommende Spontanregungen oder als unmittelbare
Folge eines intellektuellen Fehlurteils (κρίσις) zu erweisen, keinesfalls aber als
Wirkungen einer selbständigen, in der Seele bzw. ihrem Leitorgan zu suchenden
irrationalen Kraft. Demgegenüber stimmte die Vulgärmeinung mit der platonisch-
aristotelischen Tradition und auch mit der Lehre der frühesten Stoiker darin über-
ein, daß das Leitorgan der menschlichen Seele rationale und irrationale Teile oder
Kräfte enthalte, das irrationale Seelenleben also nicht auf die bloße unbewußte
Steuerung vegetativ-animalischer Vorgänge wie Wachstum oder Ernährung be-
schränkt sei. Zur Verdeutlichung seiner Lehre hatte Chrysipp eine große Anzahl
von Zitaten aus Epos und Drama zusammengestellt, deren verkehrte Interpreta-
tion ihm vor allem Galen in seiner Polemik gegen die orthodox-stoische Psycholo-
gie und ihren starren Intellektualismus vorhielt (de Hipp, et Plat. plac. 3.2 p. 260ff.
Müller = S. V. F. 2, 906). In diesem Zusammenhang tadelt Galen auch Chrysipps
verkehrte Verwendung der beiden Verse aus der 'Medea’, die doch deutlich den
Konflikt zweier miteinander in Streit liegender innerseelischer Faktoren bezeugten
(p. 272f.). Galen kommt auf diese Fehlinterpretation des öfteren zurück (p. 274;
382; 472), da wohl auch Chrysipp die Verse in verschiedenen Zusammenhängen
zitierte. Galen stützt sich in der Polemik gegen die Affektenlehre Chrysipps aus-
giebig auf Poseidonios, der eine aristotelisierende, mit der Annahme selbständiger
irrationaler Seelenkräfte operierende Psychologie in die stoische Lehre gegen Chry-
sipp einzuführen suchte. Der Umfang der Benutzung der poseidonianischen
Schrift περί παθών durch Galen ist dabei nicht eindeutig zu bestimmen. Er geht
jedoch mit großer Sicherheit über die ausdrücklich bezeichneten Zitate (fr. 34;
165; 166 Edelstein-Kidd) hinaus, und darum darf man auch annehmen, daß schon
Poseidonios auf Chrysipps Benutzung der Medea-Verse Bezug nahm. (Zum Gan-
zen immer noch grundlegend Μ. Pohlenz, De Posidonii libris π. παθών: Fleck-
eisens Jahrbuch Suppl. 24, 1898, 534ff., dessen Analysen inzwischen in die Hand-
bücher eingegangen sind.)
Jedenfalls dienen die Medea-Verse 1078/79 in der Literatur der Kaiserzeit,
innerhalb wie außerhalb der Philosophie, immer wieder dazu, die Zweiteilung der
Seele in einen rationalen und einen irrationalen Bestandteil zu illustrieren und die
Möglichkeit einer emotional motivierten Fehlhandlung wider besseres Wissen zu
begründen: Medeas θυμός - Hierokles (in carm. aur. 8,4 p. 32 Koehler) setzt ihn
gemäß stoischer Klassifizierung mit der έπιθυμία gleich - will den Tod der Kinder
und setzt sich damit gegen die Vernunft durch, die das Ausmaß des Verbrechens
richtig abschätzt. Viele Stellen hat bereits Prinz zu Eur. Med. 1078 gesammelt:
Plut. de vit. pud. 533 D; Albin, epit. 24,3 Louis; Galen, plac. Hipp, et Plat. 3,2 p.
272 Müller u. ö.; Ael. Aristid. or. 50 p. 565 Dind.; Clem. Alex, ström. 2,63,3;
Synes. de regn. 11a; Simplic. in Epict. ench. 1,4 p. 18 Dübner; Stob. 3,20,37
p. 547 W. H.; Eustrat. in Arist. eth. Nie. p. 279/80 Heylbut; Luc. apol. 10, wo
das Verspaar parodiert wird; Simplic. in Arist. categ. p. 61 Brandes; Cramer,
Anecd. Par. 4,398. Dazu kommt Liban. or. 64, 110; progymn. 9,32.