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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1977, 5. Abhandlung): Euripides' Medea: vorgetragen am 20. November 1976 — Heidelberg: Winter, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.45466#0029
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Euripides’ Medea · Anmerkungen

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man nun aus dem Fehlen eines Ausdrucks dieser Stufe in gerade 15 erhaltenen Ver-
sen des Neophron, von denen wir nicht einmal wissen, ob sie den ganzen Medea-
Monolog umfassen, sogleich chronologische Schlüsse ziehen?
Im übrigen ist aber wohl auch die Entwicklung der psychologischen Ausdrucks-
weise nicht so eindeutig zu belegen, ganz abgesehen davon, daß poetische Sprache
konservativ zu sein pflegt und alte Ausdrucksweisen hier ein langes Leben haben.
Dafür liefert etwa der synonyme Gebrauch von θυμός und καρδία in Selbstanreden
ein gutes Beispiel: Hom. υ 18; Eur. Med. 1242; Aristoph. Arch. 450ff.).
Bei Theognis (631) findet sich jedoch das Distichon
ώτινι μή θυμοΰ κρέσσων νόος, αίέν έν άταις
Κύρνε καί έν μεγάλαις κεΐται άμηχανίαις.
Die Datierung dieser Zeilen ist schwierig, die Sphragis braucht kein „Echtheits-
zeichen“ zu sein. Daß sie jedoch jünger sind als die ‘Medea’ des Euripides, dürfte
kaum wahrscheinlich sein. Jedenfalls beschreiben diese Verse den möglichen Kon-
flikt zweier innerseelischer Faktoren, als dessen Ergebnis jeder der beiden siegen
oder unterworfen werden kann, mit aller wünschenswerten Deutlichkeit. Wie ein
Echo auf diese Verse klingt die paränetische Aussage des Euripidesfragmentes 718
(Nauck) aus dem 'Telephos’, dessen Zusammenhang uns leider verloren ist:
ώρα σε θυμοΰ κρείσσονα γνώμην έχειν.
Hier scheint eine Tradition poetischer Ausdrücke des Verhältnisses von „Einsicht
und Leidenschaft“ vorzuliegen, welche die von Snell postulierte Entwicklung über-
greift. In keinem Fall aber reicht der vergleichende Befund der beiden Monologe
aus, die von Page gesammelten sprachlich-stilistischen Indizien für eine späte Ent-
stehung der 'Medea’ Neophrons zu entkräften.
Was nun aber den θυμός in der 'Medea’ des Euripides angeht, so sind mit die-
sem Wort eben nicht nur wie späterhin die eindeutig auf ein Objekt gerichteten
Handlungsimpulse indiziert. Der θυμός kann Träger eines gar nicht unmittelbar
in Handlung umgesetzten Hochgefühls (Eur. Suppl. 480, Or. 702) oder der Liebe
(Med. 8) sein, und gerade im zweiten Fall ist die „aggressive“ Erscheinungsform
des θυμός zwar möglich, aber gerade nicht notwendig, weshalb der Chor der 'Me-
dea’ Aphrodite bittet, ihren θυμός von όργή und νείκη fernzuhalten (639). Auch
verantwortlich für schlechthin willkürliches Handeln kann der θυμός sein (Eur.
Hipp. 1328; Med. 310). Daß das Wesen der Frau in besonderem Maße von Emo-
tionen bestimmt werde, die sich der Beherrschung durch den Intellekt entziehen,
darin sind sich Kreon (319), Medea (265f.) und Jason (909) mit Aristoteles einig
(vgl. W. W. Fortenbaugh, Aristotle on Emotion, London 1975, 60f.). Mit beson-
derer Beziehung auf Medea bestätigt das die Amme am Anfang des Stückes (108).
Man muß sich aber klar machen, daß das in diesem Zusammenhang häufig auftau-
chende Wort θυμός gerade auch auf die weicheren Regungen des weiblichen Her-
zens verweisen kann. Auf diese kommt es an, wenn der Chor seiner Zuversicht
Ausdruck gibt, Medeas θυμός werde die Ausführung ihres eben dargelegten Planes
nicht ertragen (865).
18 Die Wortgruppe βούλευμα, βουλεύματα, βουλεύω bezieht sich in der ganzen 'Me-
dea’ ausschließlich auf konkrete Pläne und Beschlüsse, nie auf Nachdenken oder
Überlegen schlechthin (vgl. 270; 449). Das entspricht allgemeinem Wortgebrauch
(vgl. Aristoph. equ. 108). Im Munde der Heldin bezeichnet das Wort βουλεύματα
 
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