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Eike Wolgast
dem getötet werden, der tyrannus quoad exercitionem nach seiner Ver-
urteilung: „Bello . . . cum hoste iusta de causa semel suscepto ius est non
modo universo populo, sed singulis etiam hostem interimere“72. Eine
Eigeninitiative des Einzelnen vor legitimierter Feststellung der Tyrannis
ist jedoch untersagt73.
6.
Auf dem Festland hat die Bartholomäusnacht den Anstoß gegeben für
eine politische Flugschriftenliteratur, in der das Verhältnis von Fürst
und Volk sowie der Machtbereich des Fürsten eingehend untersucht
und zugunsten des eigenen konfessionellen Vorteils interpretiert wur-
den74. Seit dem von der Krone befohlenen Blutbad an den Glaubensge-
nossen mußten sich die Hugenotten von der in den bisherigen Ausein-
andersetzungen aufrechterhaltenen Fiktion trennen, den Kampf nicht
gegen den König, sondern nur gegen dessen schlechte Berater und die
Hofcliquen zu führen; 1572 war der König offen auf die Seite der Kon-
fessionsgegner getreten. Die protestantischen Politiker und Theologen
reagierten unverzüglich auf die neue Situation: Bis 1584 erschienen
verschiedene Traktate und Pamphlete, in denen der Aufstand gegen
den Vertragsbrüchigen König, der unschuldige Untertanen gegen alles
göttliche, natürliche und positive Recht ermordete, gerechtfertigt wur-
de.
Repräsentativ für die zunehmend antiroyalistischen Tendenzen die-
ser Texte sind die anonymen Dialoge „Le Reveille-Matin des Franqais
et de leurs voisins“ von 1573/7475. In der gegebenen Lage, in der die
72 Ebd., 97; zum Problem der Tyrannentötung vgl. ebd., 76ff.
73 De iure regni hat eine breite Wirkungsgeschichte gehabt; innerhalb von drei Jahren
sind vier Ausgaben erschienen; 1584 ist die Schrift erstmals verboten worden. Das In-
teresse an Buchanan ist vor allem in Krisenzeiten immer wieder wachgeworden, so ist
eine holländische Übersetzung 1598 und 1610 erschienen, englische Übersetzungen
kamen 1680 und 1689, deutsche 1796 und 1821 heraus; vgl. dazu Jäszi-Lewis (s.
Anm. 45), 55.
74 Zur Krisensituation nach der Bartholomäusnacht vgl. J. H. M. Salmon, The French
Wars of Religion (Boston 1967); M.Yardeni, La conscience nationale en France pen-
dant les guerres de Religion (1559-1598) (Löwen-Paris 1971), 141ff. Für den Ge-
samtzusammenhang der politisch-religiösen Debatten in Frankreich vgl. R. Schnur,
Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts (Ber-
lin 1962).
75 Die wichtigsten Gedankengänge dieser sehr breit angelegten, ungeordneten und nicht
widerspruchsfreien Dialoge vgl. bei Mesnard (s. Anm. 1), 348ff. Zu Inhalt und Be-
deutung des „Reveille-Matin“ vgl. H. Scholl, Reformation und Politik (Stuttgart
1976), 103ff.
Eike Wolgast
dem getötet werden, der tyrannus quoad exercitionem nach seiner Ver-
urteilung: „Bello . . . cum hoste iusta de causa semel suscepto ius est non
modo universo populo, sed singulis etiam hostem interimere“72. Eine
Eigeninitiative des Einzelnen vor legitimierter Feststellung der Tyrannis
ist jedoch untersagt73.
6.
Auf dem Festland hat die Bartholomäusnacht den Anstoß gegeben für
eine politische Flugschriftenliteratur, in der das Verhältnis von Fürst
und Volk sowie der Machtbereich des Fürsten eingehend untersucht
und zugunsten des eigenen konfessionellen Vorteils interpretiert wur-
den74. Seit dem von der Krone befohlenen Blutbad an den Glaubensge-
nossen mußten sich die Hugenotten von der in den bisherigen Ausein-
andersetzungen aufrechterhaltenen Fiktion trennen, den Kampf nicht
gegen den König, sondern nur gegen dessen schlechte Berater und die
Hofcliquen zu führen; 1572 war der König offen auf die Seite der Kon-
fessionsgegner getreten. Die protestantischen Politiker und Theologen
reagierten unverzüglich auf die neue Situation: Bis 1584 erschienen
verschiedene Traktate und Pamphlete, in denen der Aufstand gegen
den Vertragsbrüchigen König, der unschuldige Untertanen gegen alles
göttliche, natürliche und positive Recht ermordete, gerechtfertigt wur-
de.
Repräsentativ für die zunehmend antiroyalistischen Tendenzen die-
ser Texte sind die anonymen Dialoge „Le Reveille-Matin des Franqais
et de leurs voisins“ von 1573/7475. In der gegebenen Lage, in der die
72 Ebd., 97; zum Problem der Tyrannentötung vgl. ebd., 76ff.
73 De iure regni hat eine breite Wirkungsgeschichte gehabt; innerhalb von drei Jahren
sind vier Ausgaben erschienen; 1584 ist die Schrift erstmals verboten worden. Das In-
teresse an Buchanan ist vor allem in Krisenzeiten immer wieder wachgeworden, so ist
eine holländische Übersetzung 1598 und 1610 erschienen, englische Übersetzungen
kamen 1680 und 1689, deutsche 1796 und 1821 heraus; vgl. dazu Jäszi-Lewis (s.
Anm. 45), 55.
74 Zur Krisensituation nach der Bartholomäusnacht vgl. J. H. M. Salmon, The French
Wars of Religion (Boston 1967); M.Yardeni, La conscience nationale en France pen-
dant les guerres de Religion (1559-1598) (Löwen-Paris 1971), 141ff. Für den Ge-
samtzusammenhang der politisch-religiösen Debatten in Frankreich vgl. R. Schnur,
Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts (Ber-
lin 1962).
75 Die wichtigsten Gedankengänge dieser sehr breit angelegten, ungeordneten und nicht
widerspruchsfreien Dialoge vgl. bei Mesnard (s. Anm. 1), 348ff. Zu Inhalt und Be-
deutung des „Reveille-Matin“ vgl. H. Scholl, Reformation und Politik (Stuttgart
1976), 103ff.