Metadaten

Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0042
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
40

Eike Wolgast

sprechend ihrer Funktion Verantwortung für die Gesamtheit; ihnen
kommt das Absetzungsrecht bei tyrannischer Herrschaft zu. Die magi-
stratus inferiores im engeren Sinne werden definiert als Amtsträger mit
Verantwortung für einen bestimmten territorialen Bezirk, „duces, mar-
chiones, comites, vicecomites, barones, castellani“85. In Wiederauf-
nahme der Magdeburger Konzeption86, die mit der Vertragstheorie ver-
bunden wird, hat Beza auch diesen in ihrer Kompetenz räumlich be-
grenzten magistratus inferiores für ihren Verantwortungsbereich ein
Widerstandsrecht gegen Tyrannis zuerkannt. Diese Ermächtigung galt
allerdings nicht generell, sondern nur für den - in Frankreich 1574 nach
Meinung Bezas gegebenen - Fall der Funktionsunfähigkeit der eigent-
lich zuständigen Körperschaft der höheren Amtsträger. Da nach Bezas
Verfassungskonstruktion auch die magistratus inferiores dem Volk
durch den Eid verpflichtet sind, obwohl ihre Einsetzung auf den König
zurückgeht, bleibt ihre Schutzaufgabe für die ihnen anvertrauten Unter-
tanen bestehen, auch wenn der König zum Tyrannen wird und die höhe-
ren Amtsträger versagen. Der Amtsbefugnis dieser magistratus inferio-
res entsprechend, wird allerdings der Erstreckungsbereich ihres Rechtes
auf bloße Abwehr beschränkt; sie dürfen Gewalt nicht anwenden, um
ungerechte Herrschaft zu stürzen, sondern nur „ad propulsandam iniu-
riam“ für ihren Amtsbezirk.
85 Vgl. qu. VI (Sturm, 42).
86 Daß Beza Kenntnis von den Magdeburger Theorien über die Rechte des magistratus
inferior gehabt hat, steht außer Frage; ein gewisser äußerer Bezug ist schon durch den
Untertitel der französischen Ausgabe nahegelegt: „Traite tres-necessaire en ce temps,
. . . publie par ceux de Magdebourg Pan MDL et maintenant renveu et augmente de
plusiers raisons et exemples“. Fraglich erscheint allerdings, wieweit sich diese Kennt-
nis schon in der Schrift „De haereticis a civili magistratu puniendis“ (1554) nieder-
schlägt, in der es nicht um Widerstandsrecht, sondern um die Ketzerbestrafung geht,
die auch dem magistratus inferior bei Versagen des Fürsten zusteht; so mit Recht de
Caprariis (s. Anm. 38), 16 Anm. 42; anders R. M. Kingdon, The First Expression of
Theodore Beza's Political Ideas. In: ARG 46/1955, 88ff.; I. Höss, Zur Genesis der
Widerstandslehre Bezas. In: Ebd., 54/1963, 198ff. Sturm, Uff. hält die literarische
Abhängigkeit Bezas von den Magdeburgern für zweifelhaft. In jedem Fall hat sich Be-
za in der Krise des französischen Protestantismus 1559/60 wie Calvin gegen ein Wi-
derstandsrecht gewendet (vgl. oben S. 25 Anm. 38). Wenn Bezas Auffassung von den
Rechten des magistratus inferior auch ursächlich auf das Magdeburger „Bekenntnis“
von 1550 zurückgeht, hat er diese Lehre doch durch die Teilung der magistratus infe-
riores in zwei Gruppen modifiziert; außerdem ist gerade von städtischen Obrigkeiten
bei ihm keine Rede — im Gegensatz zu den „Vindiciae“; vgl. dazu unten S. 43. Zur
Wirkungsgeschichte der Magdeburger Lehren vgl. die allerdings kärglichen Ausfüh-
rungen bei Olson (s. Anm. 39), 76ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften