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Hengel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 3. Abhandlung): Die Evangelienüberschriften: vorgetragen am 18. Oktober 1981 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47814#0009
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1. Zum Problem1
„Daß die Kirche vier gleichwerthige Evangelien besitzt, ist eine
Thatsache, an die man sich seit 1700 Jahren so gewöhnt hat, daß
sie das Nachdenken auch bei nachdenklichen Menschen nur selten
hervorruft, und doch ist es eine höchst paradoxe Thatsache ...
Alle Analogieen, die man für Schriften von solcher Bedeutung,
wie die Evangelien es sind, in der Religionsgeschichte aufzuweisen
vermag, sprechen dafür, daß man ein Buch hochschätzte und nicht
mehrere gleichartige, und daß man im Gottesdienst aus einem Buche
las“. Mit diesen Sätzen leitet Hamack in seiner „Chronologie der
altchristlichen Litteratur“ die Behandlung des εύαγγέλιον τετρά-
μορφον, des „viergestaltigen Evangeliums“, ein. Er greift dabei auf
eine Formulierung des Irenäus zurück, der um 180 n.Chr. als erster
versuchte, die „paradoxe Thatsache“ zu begründen, daß es zwar nur
eine Heilsbotschaft geben kann - und entsprechend das ganze
Neue Testament und die Apostolischen Väter nur den Singular εύαγ-
γέλιον kennen -, die Kirche aber vier ευαγγέλια besitzt2.
Die Frage nach dem einen Evangelium und den vier Evangelien
gehört ganz gewiß zu den zentralen und daher viel verhandelten,
aber zugleich dunklen und umstrittenen Problemen der frühesten
Kirchengeschichte bis zum Ausgang des 2. Jh.s.
Es ist daher eigenartig, daß ein wesentlicher Ausschnitt aus diesem
Komplex in der Forschung bisher recht vernachlässigt wurde, ob-
wohl gerade darin das Problem in kürzester Form auf den Begriff
' Dieser Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, der erstmals am 17. Oktober 1981
vor der Phil.-hist. Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften gehal-
ten wurde. Der Vf. hat ihn lediglich an einigen Punkten ergänzt und mit den
notwendigen Anmerkungen versehen. Er arbeitet an einer größeren Studie über
das Thema „Das Evangelium und die vier Evangelien“ und wird in diesem Zu-
sammenhang die ganze Thematik sehr viel ausführlicher belegt darstellen. Für das
Schreiben des Manuskripts und das Mitlesen der Korrekturen danke ich Frl. Monika
Merkle, Frau Anna Maria Schwemer und Herrn Claus-Jürgen Thornton.
2 A. v. Hamack, Geschichte der altchristlichen Litteratur bis Eusebius. Zweiter Theil:
Die Chronologie. I. Band: Die Chronologie der Litteratur bis Irenäus nebst ein-
leitenden Untersuchungen, Leipzig 1897, 681 (Hervorhebungen vom Vf.). Vgl.
Irenäus, adv. haer. 3,11,8: τετράμορφα γάρ τά ζώα, τετράμορφον και το εύαγγέλιον
και ή πραγματεία του Κυρίου.
 
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