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Hengel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 3. Abhandlung): Die Evangelienüberschriften: vorgetragen am 18. Oktober 1981 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47814#0020
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Martin Hengel

Wahrscheinlich haben J. B. Lightfoot und Eduard Schwartz recht,
wenn sie die richtige Ordnung (τάξις), die Papias im 2. Evangelium ver-
mißte, im 4. Evangelium mit seiner umfassenderen, dreijährigen Chro-
nologie vermuteten37. Die Abwertung des griechischen Matthäus-
evangeliums, das sich am raschesten in der Kirche durchsetzte, ist
noch auffallender: Es erscheint bestenfalls als eine Übersetzung aus
zweiter Hand und nicht als direkt apostolisch. Ich möchte daraus
schließen, daß Papias bzw. sein Gewährsmann, der Presbyter, noch
etwas von der Problematik der Evangelienschreibung und den damit
verbundenen, konkurrierenden Ansprüchen und Traditionen wußten,
die gerade durch die verschiedenen Namen der Autoren sichtbar
wurden. Es ist nicht zufällig, daß er im fünfbändigen Werk seine
Hochschätzung der alten, lebendigen, mündlichen Überlieferung
gegenüber dem geschriebenen Wort hervorhebt:
„Denn ich war überzeugt, daß mir das, was aus den Büchern stammt, nicht
in gleicher Weise nützlich sei wie das, was aus der lebendigen und blei-
benden mündlichen Tradition kommt.“38
D.h., daß Papias sehr wohl mit „Evangelienliteratur“ (und anderen
christlichen Schriften) vertraut war, daß er aber die mündliche Über-
lieferung höher einschätzte. Die Papiasnotizen führen die Kenntnis der
Überschriften der beiden ersten Evangelien mit einiger Wahrschein-
lichkeit bis auf das Ende des 1. Jh.s zurück.
Dieses - der herrschenden Meinung widersprechende - hohe Alter
wird auch durch die uns bekannten Titel apokrypher Evangelien be-
stätigt, die zum großen Teil schon in der 1. Hälfte des 2. Jh.s, aber
doch später als die kanonischen Evangelien entstanden sind, und
deren Überschriften bereits in Analogie zu den - später dann ka-
nonisch gewordenen - älteren Evangelienschriften gebildet worden
waren: so die Evangelien nach Thomas, nach Petrus, nach Philippus,
nach Matthias, nach Maria u.a.39. Auch die Evangelien bestimmter
37 Op. cit. (Anm. 33) 247f. Anm. 59.60.
38 Euseb, h.e. 3,39,4: ού γάρ τα έκ των βιβλίων τοσοΰτόν με ώφελεΐν ύπελάμβανον
όσον τα παρά ζώσης φωνής και μενούσης, dazu op. cit. 249f.
39 S. das Inhaltsverzeichnis von E. Hennecke/W. Schneemelcher, Neutestamentliche
Apokryphen. I. Evangelien, 1959. Wenn Origenes, Homilien zu Lukas (ed. Μ. Rauer,
GCS 35, 21959, Homilia 1 p. 4f.) das πολλοί έπεχείρησαν von Lk 1,1 polemisch
auf apokryphe Evangelien κατά Αιγυπτίους, των Δώδεκα, κατά Βασιλείδην, κατά
Θωμάν, κατά Ματϋίαν καί άλλα πλείονα deutet, so nimmt er bewußt einen Ana-
chronismus in Kauf, um den „Vielen“ gegenüber „die Vier, die die Kirche allein
anerkennt“, hervorzuheben.
 
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