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Hengel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 3. Abhandlung): Die Evangelienüberschriften: vorgetragen am 18. Oktober 1981 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47814#0034
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Martin Hengel

tisch problematische „Untergrundliteratur“71. Vermutlich empfiehlt
der Apologet Aristides dem Kaiser die Lektüre christlicher Schriften,
um derartige Bedenken zu zerstreuen (s.o. S. 14), und wenn Justin in
der sogenannten 2. Apologie die Römer - vermutlich Mitglieder des
Senats - auffordert, seine Schrift durch öffentliche Bekanntmachung
zu billigen (προγράφειν), damit er „es allen zugänglich machen“ kann
(1,1; 15,2), so ist dies die Ausnahme eines mutigen Apologeten, die
die Regel bestätigt. Wohl aber mag Lukas daran interessiert gewesen
sein, daß Theophilos das Werk unter Gleichgesinnten, d.h. Sympathi-
santen des Christentums in der gebildeten Oberschicht, in Umlauf
brachte.
Auch der letzte Bearbeiter des Johannesevangeliums, der Joh 21
und wohl noch einiges andere an- und einfugte und dem daran lag,
das Werk in allen anderen Gemeinden einzufuhren, war vermutlich
Schüler des Autors. Daß beide, Theophilos und jene(r) Unbe-
kannte^), der (bzw. die) das 4. Evangelium nach dem Tod des Autors
herausgab(en), die ihnen anvertrauten Werke in den Gemeinden
titellos und anonym verbreiteten, ist sehr unwahrscheinlich72. Zur
Widmung an Theophilos gehört auch ein Verfasser. Gegen titellose
71 Tertullian, de test. anim. 1,4: „soviel fehlt daran, daß die Menschen unsere Schriften
zur Kenntnis nehmen, zu welchen keiner Zutritt hat, als wer schon Christ ist“
(tanto abest, ut nostris litteris annuant homines, ad quas nemo venit nisi iam
christianus). Aussagen wie Mt 28,18; Lk 4,5-7 und die synoptischen Apokalypsen
mußten für heidnische Leser provozierend wirken. Zu einer systematischen Bücher-
vernichtung christlicher Schriften kam es freilich erst in der diokletianischen Ver-
folgung s. W. Speyer, Büchervemichtung und Zensur bei den Heiden, Juden und
Christen, Bibliothek d. Buchwesens 7, 1981, 74.76ff. 127 ff. Man wird jedoch an-
nehmen können, daß auch bei früheren Verfolgungen als Nebeneffekt Bücher der
Christen vernichtet wurden. Der Statthalter, der die Märtyrer im nordafrikanischen
Scili nach ihren Büchern fragt, wird diese kaum den Christen zurückgegeben
haben s.u. S. 40.
72 S. den vorletzten Vers des Evangeliums Joh 21,24: Mit dem Hinweis auf den Ver-
fasser ist nicht mehr nur die johanneische Schule, sondern die ganze Kirche an-
gesprochen. Auch die Aufgabe des Petrus 21,15-17 und der Hinweis auf sein
Martyrium 21,18f. zeigt die ökumenische Weite des (bzw. der?) Herausgeber. Das
Rätsel von 21,24 wäre dann gelöst, wenn der Name des Lieblingsjüngers aus dem
Titel zu entnehmen wäre. Der 3. Johannesbrief zeigt deutlich, daß das „Schul-
haupt“, der „Presbyteros“, Anführer einer überregionalen „ecclesiola in ecclesia“
ist, dem daran lag, die theologischen Vorstellungen seiner Schule in der Gesamt-
kirche zu verbreiten. Das war aber durch anonyme Schriften nicht möglich. Das
Problem bei den späteren Identifizierungsversuchen war nur, daß Johannes ein
im zeitgenössischen Juden(christen)tum allzu häufiger Name war (s.o. Anm. 58),
der leicht zu Verwechslungen fuhren konnte.
 
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