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Hengel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 3. Abhandlung): Die Evangelienüberschriften: vorgetragen am 18. Oktober 1981 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47814#0046
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Martin Hengel

prophetische Schrift verstand102. Es ist daher nur konsequent, wenn
Justin die Lesung der Evangelien vor die Prophetenlesung stellt.
Einen ersten Hinweis auf solche christliche Schreiber finden wir
schon im Römerbrief 16,22: „Ich grüße euch, ich Tertius, der diesen
Brief geschrieben hat, im Herrn“. Es wird schon hier etwas vom Selbst-
bewußtsein dieses Standes sichtbar: In einem Apostelbrief taucht
plötzlich ein zweites, fremdes Ich auf103. Von Beruf wohl oft Doku-
mentenschreiber, sorgten sie für die Ausstattung der Gemeinde-
bibliotheken, die Kopierung und Versendung von gottesdienstlichen
und anderen das Gemeindeleben betreffenden Schriften. Dabei ar-
beiteten sie mit Wanderlehrern und Boten, die von Gemeinde zu Ge-
meinde reisten104, Hand in Hand. Diese reiche Reisetätigkeit von An-
fang an in Verbindung mit einem ständigen - auch literarischen -

102 S.o. S. 34 Anm. 76 bei Justin zur Evangelien- und Prophetenlesung u. Μ. Hengel,
Probleme des Markusevangeliums, in: P. Stuhlmacher (Hg.), Das Evangelium
und die Evangelien, WUNT 28, 1983, 221-265 (262ff.).
103 Tertius war wohl der Stenograph, der den Römerbrief schrieb, sein Gruß spricht
gegen die These, daß Rö 16,1-23 ursprünglich ein an die Gemeinde in Ephesus
gerichteter separater Brief mit Grüßen sei. Nachdem er die harte Arbeit des
Mitstenographierens abgeschlossen hat, meldet auch er sich zu Wort. Bei einem
ganz kurzen Schreiben wäre seine „Intervention“ unverständlich. Zur Sache vgl.
C. E. B. Cranfield, The Epistle to the Romans ICC, II, 1979, 806: “one might
understand Tertius to be expressing by this έν κυρίω a certain awareness of the
importance of that in which he had played a vital pari”. Cranfield vermutet noch
“that he had some connexion with Rome and would be known to some of the
Christians there”.
104 Seit der vielbeachteten Untersuchung von G. Theißen: Wanderradikalismus.
Literatursoziologische Aspekte der Überlieferung von Worten Jesu im Urchristen-
tum. ZThk 70 (1973) 245-271 = Studien zur Soziologie des Urchristentums,
WUNT 19 21983 (1979) 79-105 (Lit 344) hat sich das Interesse vor allem den
christlichen Wanderlehrern, wie sie u.a. auch in der Didache und 3. Joh auf-
treten, zugewandt. Demgegenüber verdiente das Problem des Gemeindeaus-
tauschs durch Boten und die zahlreichen durchgehenden Nachrichten von Reisen
christlicher Persönlichkeiten vom 1.-3. Jh. eine eingehendere Untersuchung.
Besonders häufig erwähnt werden natürlich Reisen aus dem Osten nach Rom, wie
Tacitus (ann. 15,44,3) und Juvenal (sat. 3,60ff.) auf bekannte Weise beklagen. Der
Weg nach Rom führte dabei oft über Kleinasien. Daneben spielte später auch Alex-
andrien und Palästina (Melito s.o. Anm. 89; Peregrinus Proteus s.o. Anm. 90;
Alexander, der spätere Bischof von Jerusalem, kommt aus Kappadokien: Euseb,
h.e. 6,11,2; vgl. auch PsClemHom 1,7,7; 8,1: άλλ’ εις Ίουδαίαν όρμήσω) eine
große Rolle. Zahlreiche Nachrichten haben wir über reisende gnostische Lehrer.
Die vielen Reisenden erklären die besondere Hochschätzung der Gastfreundschaft
s. dazu A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums, 1 41924,
 
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