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Hengel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 3. Abhandlung): Die Evangelienüberschriften: vorgetragen am 18. Oktober 1981 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47814#0052
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Martin Hengel

standene Evangelium113 kopierte und an andere Gemeinden versandte
- die Notiz im Hirten des Hermas zeigt, daß diese gerade nicht mit
dem Autor identisch sein muß es gegenüber den Empfängern als
εύαγγέλιον κατά Μάρκον auswies.
8. Nur durch das Markusevangelium konnte sich der Titel Evan-
gelium für eine „Jesusbiographie“ durchsetzen, denn nur in ihm wurde
die Jesusgeschichte als „εύαγγέλιον“ bezeichnet, und nur in ihm besaß
der Begriff eine grundsätzliche, das ganze Werk tragende theologi-
sche Bedeutung. Im Lukasevangelium wird er völlig entfernt (s.o.
Anm. 51), im Corpus Johanneum fehlte er ganz und bei Matthäus
wurde er nur noch wesentlich reduziert verwendet. Die Übertragung
dieses in der antiken Welt völlig neuen und ganz und gar unlite-
rarischen Titels auf die späteren Evangelien einschließlich der zahl-
reichen apokryphen Evangelienschriften im 2. Jh. läßt sich im Grunde
nur vom frühesten Evangelium aus, eben dem des Markus, sinnvoll
erklären. Man wird daher annehmen dürfen, daß der Titel auf die spä-
teren Evangelien, Lk, Mt und Joh (von den späteren apokryphen
Werken ganz abgesehen), nach dem Vorbild des Markusevangeliums
zu dem Zeitpunkt übertragen wurde, als diese Werke durch Abschrif-
ten in der Großkirche verbreitet werden sollten. Bei Lukas könnte
man dabei an eine Initiative des Gönners Theophilus denken, bei
Johannes an den (oder die) Herausgeber letzter Hand, die in 21,24
mit dem Hinweis auf den Autor zu Worte kommen und die die
Autorität des Lieblingsjüngers über die in der Kirche allgemein an-
erkannte des Petrus stellten. Sollte vielleicht in der Überlegenheit
des Lieblingsjüngers gegenüber Petrus zugleich der Vorrang des neuen
Werkes gegenüber der durch den Petrusschüler Markus begründeten
synoptischen Tradition zum Ausdruck kommen? Gewiß, das bleiben
alles Vermutungen. Aber sie sind nicht unbegründet. Wer sie grund-
sätzlich zurückweisen will, muß sich bemühen, eine historisch besser
begründete Erklärung für die Entstehung jener in der antiken Welt
völlig neuartigen und ungewohnten Buchtitel und ihre so erstaunliche
Übereinstimmung zu geben.
9. Unabhängig von diesen Hypothesen ist festzuhalten, daß beim
heutigen Stand unseres Wissens die Evangelienüberschriften keines-
falls späte Erzeugnisse des 2. Jh.s darstellen, sondern sehr alt sein
113 Zum historischen Ort des 2. Evangeliums s. Entstehungszeit und Situation des
Markusevangeliums, in: H. Cancik (Hg.), Markus-Philologie, WUNT 33, 1984,
1-46 (43 ff.).
 
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