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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0021
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Zeit und Geschichte bei Augustin

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sucht. Der (christliche) Verlust der griechischen Möglichkeit, der Prä-
senz am Kreislauf gewahr zu werden, habe ihn zur Lokalisierung der
Zeit in der Seele gezwungen: da der Geist sich selbst gegenwärtig sei,
habe die Möglichkeit bestanden, die Zeit in der Seele ansichtig zu
machen.
Hier könnte man einwenden, daß Augustin, da die Seinsfrage kein
Problem war, allenfalls das Szinsverständnis mit der Tradition der grie-
chischen Ontologie zu lösen versucht habe. Eine solche Beschreibung
hätte immerhin darauf geführt, daß die Zeit ein Erkenntnisproblem
darstellte (das sich als zeitliche Struktur des Erkennens selbst löste).
Man müßte das Klischee der angeblichen Opposition von zykli-
scher Zeitauffassung der Griechen und gerichteter Zeit der Geschichte
im christlichen Denken kritisieren23.
Ursprung aristotelischer Grundbegriffe, Freiburg-München 1958, S. 3f. und S. 9,
Anm. 10; Gadamer, Leere u. erfüllte Zeit, S. 18; Ernst Heitsch, Gegenwart und Evi-
denz bei Parmenides, Abh. Ak. Mainz 1970. - Die Kritik von Lechner, Idee und
Zeit bei A., S. 132, Anm. 38 (an Kamlah zu Augustin) und Beierwaltes, comm. Plo-
tin. enn. III 7, S. 175 f. (an Heidegger bzw. H. Weiss im Blick auf Plotin) trifft Hei-
deggers Anliegen nicht, zumal sie bei bloßen Behauptungen bleibt: „Die Nichtig-
keit vorübergehender Zeit liegt also im Wesen von zeitlich Seiendem und ist nicht
nur (?!) Folge der augustinischen Seinsauffassung ,als Anschaubarsein“‘ (Lechner);
„das gemäß der Sprache scheinbar zeithafte, von der Sache her jedoch zeitlose IST
der Ewigkeit“ (Beierwaltes). Auch die Verurteilung eines Denkens, „das den Sinn
von Sein ausschließlich in der Sprache hinterlegt findet“ (Beierwaltes), kann nicht
übersehen machen, daß in Plotins Schrift und in Beierwaltes1 Kommentar Ewigkeit
nach dem Modell stehender und vollkommener Gegenwart gedacht wird. Gerade
die platonische ,Entzeitlichung‘ der „Sprachform des IST“ (Beierwaltes, S. 172)
belegt den ursprünglichen Gegenwartscharakter des vorgestellten Seins. - Der Ein-
gangstopos von Zeitabhandlungen (Plotin, Augustin, Husserl, Gadamer), die
Scheinvertrautheit von Zeit im alltäglichen Umgang und die Ratlosigkeit, in die das
Nachdenken gerät, entstammt dem Sophistes (244 a 4- b 1) und gilt dort dem Seien-
den. Zu Heideggers Motto über „Sein und Zeit“ vgl. u. Anm. 126.
23 Dazu verweise ich auf James Barr, Biblical Words for Time, London 1962, S. 137—
144; Arnaldo Momigliano, Time in Ancient Historiography. In: History and Theory.
Beiheft 6 (1966): History and the Concept of Time, S. 1-23; Hubert Cancik, Die
Rechtfertigung Gottes durch den Fortschritt der Zeiten1. Zur Differenz jüdisch-
christlicher und hellenisch-römischer Zeit- und Geschichtsvorstellungen. In: Die
Zeit. Schriften der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, Band 6, München-Wien
1983, S. 257-288. Diese Autoren zeigen einerseits die Vielzahl der unter zyklischer
Zeit subsumierten Phänomene und deren Konfusion auf, andererseits die bis zur
Verfälschung gehende Gewaltsamkeit des kulturmorphologischen Schemas der
jüdisch-hellenischen Opposition. - Meine Kritik an der Rede von zyklischer Zeit-
auffassung ist noch elementarer. Zyklisches und lineares Denken kann eine Formel
für die Differenz natürlicher und geschichtlicher Prozessualität sein, aber nicht für
 
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