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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0035
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Zeit und Geschichte bei Augustin

33

3. Kapitel
Zukunft und Erwartung in Augustins Zeitlehre nach dem
Modell von Vergangenheit und Erinnerung gedacht
Welche Rolle spielt die Zukunft in Augustins Zeitlehre? Wie unter-
scheidet sie sich von Gegenwart und Vergangenheit? Welchen Inhalt
hat die Erwartung?
Die Erörterungen über die Zeit in Buch XI der Confessiones sind in
unübersehbarer Weise an der Gegenwart orientiert und auf die Gegen-
wart ausgerichtet (vgl. dazu vor allem Kapitel 2 und 7). Ihrem grund-
legenden Charakter gegenüber treten beide, Zukunft und Vergangen-
heit, zurück. Die Mitte der Zeitlehre ist die Gegenwart.
Aber auch das Übergewicht der Erinnerung über die Erwartung ist,
wie vom Umfang der ihnen gewidmeten Überlegungen so vom Stel-
lenwert im Gedankengebäude her, nicht anders als evident zu nennen.
Nicht nur geht der Frage nach der Zeit im elften Buch die ausführliche
Erörterung der Erinnerung in Buch X exponierend voraus - die weiten
Paläste der „memoria“ als vorweggenommene Raummetapher auch
für die zeitliche „distentio animi“ -, sondern die Zeitabhandlung ist
auch selbst, gemäß dieser Exposition und im Rückgriff auf sie, vor
allem bei der Zeitmessung, aber auch im Kontext von Anschauung
und Präsenz des Nichtpräsenten, von der Erinnerung her entwickelt:
(1) Die Theorie der Erinnerungsbilder vermittelt dem Nachweis
der Präsenz des Vergangenen einen sicheren Vorteil vor der Zukunft
und wird für diese das Modell.
(2) Ohne die Erinnerung, d. h. ohne die „imagines“ in der Seele und
die „affectio“ (conf. 11, 27, 36), welche die Ereignisse als sich ereig-
nende in der Seele hinterlassen, wäre Zeitmessung nicht möglich und
Ausdehnung der Seele nicht vorstellbar.
(3) Die Gegenstände der Erwartung sind von denen der Erinnerung
nicht unterschieden.
Die Mitte der Zeitlehre ist also die Gegenwart nicht im Sinn einer
die Zeit atomisierenden Augenblicksphilosophie, sondern als Gegen-
wart des Vergangenen in der „memoria“. O’Daly sagt mit Recht:
zu führen, mit De musica und De trinitate den Rahmen für conf. 10 abzustecken. -
Die Identifikation der Fragestellung des in der „memoria“-Lehre offenbar mit den
Confessiones übereinstimmenden Dialogs „De magistro“ (vgl. o. Anm. 32) mit dem
Problem des platonischen „Menon“ wird abgelehnt von Eugenio Coseriu, Die
Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart, Tübingen
1975, S. 123 u. 127.
 
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