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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0049
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Zeit und Geschichte bei Augustin

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eingeleitet wird, d. h. was durch diese Aufhebung von Zeit eingeleitet
wird, ist für einen vollen Herzschlag die Berührung des Denkens mit
dem ewigen Sein (conf. 9, 10, 24f.), in dem es kein „fuisse“ und kein
„futurum esse“ gibt. Der „intentio“ oder „extentio“, die keine Zukünf-
tigkeit ist, sondern eine Aufmerksamkeit, gibt Gott das Geschenk der
Aufhebung der Zeit zu reiner Gegenwart und Anschauung ewigen
Seins. In einem „momentum intelligentiae“ (conf. 9,10, 25) geschieht
denkende Berührung mit der ewigen Wahrheit. Ewigkeit anzu-
schauen, d. h. ein Sein ohne Vergangenheit und Zukunft vergangen-
heits- und zukunftsfrei zu erfahren und zu denken, bedeutet für das
erfahrende und denkende Subjekt Ewigkeit - nicht einmal ,kurze4
Ewigkeit, da die Ewigkeitserfahrung nicht mit Zeitgefühl einherging.
Und selbst wenn diese Ewigkeit objektiv kurz war: was könnte Ewig-
keit durch Länge der Zeit gewinnen? Diese Ewigkeitserfahrung ist
Befreiung der Erkenntnis von den Schranken menschlicher Zeit, zeit-
freie Erkenntnis. So wie Augustin in conf. 11, 11, 13 angesichts derer,
die Gottes Ewigkeit vor der Erschaffung der Welt und der Zeit nicht
verstehen, ausruft: „Quis tenebit (cor eorum) et figet [...], ut paululum
stet et paululum rapiat splendorem semper stantis aeternitatis“, einer
Ewigkeit, die ganz Gegenwart („totum esse praesens“) und ohne Ver-
gangenheit und Zukunft ist („nec futura nec praeterita aeternitas“), so
hat er selbst hinsichtlich der Ewigkeit nach dieser Zeit jenes „paulu-
lum stat“ seines Herzens als zeitenthobene Enklave der Ewigkeit in
seiner Zeit erfahren.
5. Kapitel
Die Defizienzen der augustinischen Zeitlehre gegenüber Plotins
Zeitverständnis; der positive Sinn dieser Defizienzen
Die Aufgabe, Augustins Lehre von der Zeit in Confessiones, Buch XI
positiv nach Sinn und Funktion innerhalb der Bekenntnisse und dar-
über hinaus für das Verständnis der augustinischen Theologie und
Anthropologie zu bestimmen, exponiere ich weiter mit der Beobach-
tung dessen, was seinem Zeitverständnis gegenüber der plotinischen
Zeitlehre fehlt. Die Gegenüberstellung ist systematisch, nicht histo-
risch-genetisch orientiert. Es geht weder um den Nachweis von Augu-
stins Kenntnis oder Unkenntnis der plotinischen Schrift über Ewigkeit
und Zeit noch um Analyse angeblicher bewußter Transformation.
 
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