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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0056
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Ernst A. Schmidt

Augustin von Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft her. Die öiäaraau;
bei Plotin ist daher die des Nacheinander der Sukzession (Eipe^fjt;)110,
bei Augustin die des Auseinander der Zeitstufen. Die plotinische Zeit
ist einheitlich in ihrer Gerichtetheit und ihrem Streben nach Sein
(wobei das Nacheinander gerade der Tendenz auf das öp,oü kccv der
Ewigkeit entspringt); die augustinische Zeit ist keine Einheit, weil sie
die Ewigkeit zweisinnig verläßt.
Die augustinische Zeit strebt weder nach der Ewigkeit noch nach
dem Nichts, und der Versuch, Augustin eine subtile Dialektik zuzuer-
kennen, vermöge deren er (neuplatonisches) Seinsstreben der Zeit
und (manichäische) Tendenz zur Nichtigkeit ausgleiche111, ist müßige
Spekulation. Augustins Zeit ist in all ihrer Bewegtheit und Unruhe
ungerichtet und undynamisch. So sehr man die augustinische Her-
zensunruhe, Zerrissenheit und „curiositas“ mit der plotinischen tioAd-
7ipay|ioowr| in Zusammenhang bringen darf112, so wenig darf
man den negativen und undynamischen Charakter der augustinischen
Beurteilung und den vom Menschen her unüberbrückbaren Abgrund
zwischen Zeit und Ewigkeit, menschlichem Wissen und göttlicher
Weisheit verkennen.

6. Kapitel
Personale Zeit und Zeit der Kreatur
Die Sätze des vorigen Kapitels mußten zum Teil befremdlich erschei-
nen, wenn man sie nämlich als Aussagen ausschließlich von der Zeit
verstand, die zuvor als einzige näher betrachtet worden war, die „perso-
nale Zeit“ zu nennende Zeit in der Seele. Allerdings war auch schon
darauf hingedeutet worden, daß Augustin neben und vor jener Zeit
und als ihre Voraussetzung auch die Zeitvorstellung kennt und mit
zum Thema der Bücher XI-XIII der Confessiones hat, die man sonst
wohl als objektive oder physikalische Zeit bezeichnen mag, die ich hier
aber lieber „Zeit der Kreatur“ nennen will: Gott hat sie mit und für
seine Schöpfung geschaffen, und der Mensch ist von ihr in seiner per-
sonalen Zeit bedingt.
110 Vgl. Beierwaltes, comm. Plotin. enn. III 7, S. 57; S. 62fE; S. 263f.
111 So Lampey, Zeitproblem nach conf., z. B. S. 57; 67; ähnlich Berlinger, A.s dialog.
Metaphysik. S. 59 f.
112 Vgl. Blumenberg, Legitimität der Neuzeit 3, S. 76-78; S. 103ff.
 
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