Zeit und Geschichte bei Augustin
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Problem als die Schwierigkeit, wie das Sein der Zeit zu denken sei,
ergibt sich aus der schulmäßigen temporalen Entfaltung von „sein“ in
„war“, „ist“, „wird sein“.
Die A-Reihe aus der grammatischen Schultradition als (einziges)
zugrundegelegtes Konzept der Zeit lenkte bereits auf ihre Ansiedlung
in der Seele. Augustin kam aber auch ein anderes Denkmuster ent-
gegen, sowohl für die Lokalisierung der Zeit in der Seele als auch für
den ohnehin selbstverständlichen Zusammenhang von Wahrneh-
mung bzw. Erkenntnis, Präsenz und Praesens28, nämlich offenbar aus
der rhetorisch-wissenschaftlichen Tradition, die ihm ein zuletzt aus der
aristotelischen Schrift flcpi pvf|p,r|q xai ävapvfiaewq29 (De memoria -
mem.) stammendes Modell bereithielt30. Ich unterstelle nicht Augu-
stins Originalkenntnis von Aristoteles, De memoria, dieser “important
source for Aristotle’s theory of thinking“31, sondern halte es für mög-
lich und wahrscheinlich, daß Elemente dieser Schrift - Erinnerung,
Ysyovora ciör] - Aeyopev yap öf] dx; fjv ecmv re xai earai (Plat., Tim. 37 e 4-6); rö vüv
ö ipaivcTcci öiopKeiv tö TtapeAhöv xai rö peAAov (Artist., Phys. 218 a 8 f.). Daß „prae-
teritum, praesens, futurum“ oder „fuit, est, erit“ die Seinsproblematik gegenüber
TtapeÄüov, öv, peAÄov oder fjv, eariv, eorai (nur im Griechischen gleicher Stamm!)
verschärfen sollte, ist unverständlich. - Die Pointe oben im Text ist nicht der angeb-
liche Fortschritt der lateinischen Grammatik, sondern die Feststellung, daß Augu-
stin ein grammatisches Schema (das er als solches kennzeichnet) zum Element sei-
nes Nachdenkens über die Zeit macht. Vgl. O’Daly, A. on Measurement of Time,
Anm. 14 (times and tenses).
28 Vgl. Rudolf Lorenz, Die Wissenschaftslehre Augustins, Zeitschr. f. Kirchen-
geschichte 67 (1955/56), S. 29-60 und S. 213-251; hier: S. 47: „Von Anfang an lehnt
Augustin den Gedanken ab, daß die Seele die Wirklichkeit des von ihr Wahrgenom-
menen und Erkannten mit konstituiere. Das Wissen erfordert die Gegenwart des zu
erkennenden Gegenstands [...]. Es ist Schauen der Sache selbst“. Lorenz zitiert De
mag. 12,40 (CSEL 77, ed. G. Weigel, p. 48,23-25): „cum [...] de his agitur quae
mente conspicimus, [...], ea [... ] loquimur, quae praesentia contuemur in illa inte-
riore luce veritatis, [...]“ und De quant. an. 27,53 (PL 32, coL 1065): „[...] cum ille
mentis aspectus, quem rationem vocamus, coniectus in rem aliquam, videt illam,
scientia nominatur“.
29 Ausgabe: Aristotle, Parva Naturalia. A Revised Text with Introduction and Com-
mentary by Sir David Ross, Oxford 1955.
30 Vgl. Gent, Raum u. Zeit, S. 44. - Duchrow, Sog. psycholog. Zeitbegriff A.s, S. 274,
Anm. 16 verweist auf Georg Picht, Die Erfahrung der Geschichte, Frankfurt a. M.
1958, S. 10ff., der dort den Komplex Zeit und Erinnerung von Aristoteles und zwar
vor allem De mem. her exponiert (ohne von Augustin zu handeln). O’Daly, A. on
Measurement of Time, S. 177 verweist auf mem. 451 a 23-25. 29-31.
31 Sorabji, Arist. on Memory, S. 8.
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Problem als die Schwierigkeit, wie das Sein der Zeit zu denken sei,
ergibt sich aus der schulmäßigen temporalen Entfaltung von „sein“ in
„war“, „ist“, „wird sein“.
Die A-Reihe aus der grammatischen Schultradition als (einziges)
zugrundegelegtes Konzept der Zeit lenkte bereits auf ihre Ansiedlung
in der Seele. Augustin kam aber auch ein anderes Denkmuster ent-
gegen, sowohl für die Lokalisierung der Zeit in der Seele als auch für
den ohnehin selbstverständlichen Zusammenhang von Wahrneh-
mung bzw. Erkenntnis, Präsenz und Praesens28, nämlich offenbar aus
der rhetorisch-wissenschaftlichen Tradition, die ihm ein zuletzt aus der
aristotelischen Schrift flcpi pvf|p,r|q xai ävapvfiaewq29 (De memoria -
mem.) stammendes Modell bereithielt30. Ich unterstelle nicht Augu-
stins Originalkenntnis von Aristoteles, De memoria, dieser “important
source for Aristotle’s theory of thinking“31, sondern halte es für mög-
lich und wahrscheinlich, daß Elemente dieser Schrift - Erinnerung,
Ysyovora ciör] - Aeyopev yap öf] dx; fjv ecmv re xai earai (Plat., Tim. 37 e 4-6); rö vüv
ö ipaivcTcci öiopKeiv tö TtapeAhöv xai rö peAAov (Artist., Phys. 218 a 8 f.). Daß „prae-
teritum, praesens, futurum“ oder „fuit, est, erit“ die Seinsproblematik gegenüber
TtapeÄüov, öv, peAÄov oder fjv, eariv, eorai (nur im Griechischen gleicher Stamm!)
verschärfen sollte, ist unverständlich. - Die Pointe oben im Text ist nicht der angeb-
liche Fortschritt der lateinischen Grammatik, sondern die Feststellung, daß Augu-
stin ein grammatisches Schema (das er als solches kennzeichnet) zum Element sei-
nes Nachdenkens über die Zeit macht. Vgl. O’Daly, A. on Measurement of Time,
Anm. 14 (times and tenses).
28 Vgl. Rudolf Lorenz, Die Wissenschaftslehre Augustins, Zeitschr. f. Kirchen-
geschichte 67 (1955/56), S. 29-60 und S. 213-251; hier: S. 47: „Von Anfang an lehnt
Augustin den Gedanken ab, daß die Seele die Wirklichkeit des von ihr Wahrgenom-
menen und Erkannten mit konstituiere. Das Wissen erfordert die Gegenwart des zu
erkennenden Gegenstands [...]. Es ist Schauen der Sache selbst“. Lorenz zitiert De
mag. 12,40 (CSEL 77, ed. G. Weigel, p. 48,23-25): „cum [...] de his agitur quae
mente conspicimus, [...], ea [... ] loquimur, quae praesentia contuemur in illa inte-
riore luce veritatis, [...]“ und De quant. an. 27,53 (PL 32, coL 1065): „[...] cum ille
mentis aspectus, quem rationem vocamus, coniectus in rem aliquam, videt illam,
scientia nominatur“.
29 Ausgabe: Aristotle, Parva Naturalia. A Revised Text with Introduction and Com-
mentary by Sir David Ross, Oxford 1955.
30 Vgl. Gent, Raum u. Zeit, S. 44. - Duchrow, Sog. psycholog. Zeitbegriff A.s, S. 274,
Anm. 16 verweist auf Georg Picht, Die Erfahrung der Geschichte, Frankfurt a. M.
1958, S. 10ff., der dort den Komplex Zeit und Erinnerung von Aristoteles und zwar
vor allem De mem. her exponiert (ohne von Augustin zu handeln). O’Daly, A. on
Measurement of Time, S. 177 verweist auf mem. 451 a 23-25. 29-31.
31 Sorabji, Arist. on Memory, S. 8.