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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0027
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Zeit und Geschichte bei Augustin

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Schöpfung als dem Anfang der Zeit zuwendet und dabei ausdrücklich
die Zeit als Geschöpf Gottes bezeichnet, den Vorwurf erheben, es
leugne das Sein der Vergangenheit, bzw. wie kann man darauf verzich-
ten, auch nur den Versuch zu machen, den raschen Eindruck eklatan-
ter Inkonsequenz zwischen selbstverständlicher Anerkennung der
Vergangenheit und ihrer Leugnung in einem einzigen Werk zu über-
winden, im Ernstnehmen des Autors als Denkers und Künstlers und
im Ernstnehmen der Sache? Wie kann man bei einem Werk, das von
Gottes vergangenen und gegenwärtigen Wohltaten gegenüber dem
Bekennenden handelt und über den Schöpfungsbericht als eine
Summe christlichen Glaubens bekennend - den Glauben bekennend
- meditiert, vermissen, daß es nicht der Zeit von Christus bis zum Heil
nach dem Ende der Zeiten gelte? Sollte man angesichts eines Werkes,
das unablässig von Heil und von Zeit handelt, anstatt das Fehlen von
Heilsgeschichte als eine Inkonsequenz oder als Manko zu betrachten,
nicht vielmehr die eigenen Erwartungen überprüfen? Und ist es nicht
eher merkwürdig, einem Werk gegenüber, das fast ausschließlich von
Vergangenheit handelt, Zukunft zu fordern? Welche Autobiographie,
welche Selbstanalyse, welche Genesisexegese macht die Zukunft
systematisch zum Thema? Ist es nicht auch geradezu abwegig, das
Nichtsein von Vergangenheit zu unterstellen? Zumal, da Augustin in
einem Atem Vergangenheit anerkennt und Heilsgeschichte (die Not-
wendigkeit der Erlösungstat Christi als eines geschichtlichen Ereig-
nisses der Vergangenheit) abweist? „Hic (sc. Christus lesus) demon-
stratus est antiquis sanctis, ut ita ipsi per fidem futurae passionis eius,
sicut nos per fidem praeteritae, salvi fierent“ (conf. 10, 43, 68).
Augustin sagt (und eben das ist die erste Pointe seiner Problem-
lösung): die Vergangenheit ist, nämlich in meiner Seele. Eben deshalb
kann ich meine Confessiones als Bekenntnis meiner Vergangenheit
sprechen. Und wo meine Erinnerung nicht selbst als ursprüngliche
Gegenwart die Vergangenheit bewahrt, ist sie ihr in Erzählungen der
Eltern und bei Geschichtsschreibern überliefert, zuerst von Moses
über die Schöpfung (und natürlich ist auch Christus in der Schrift mit
ihrer Autorität der Erinnerung anvertraut). Die Vergangenheit (und
Zukunft) in der Seele sind nicht eine psychologische Reduktion des
Phänomens Zeit unter Leugnung ihres objektiven Vorhandenseins,
sondern sie sind die Weise, wie den Menschen die objektive Zeit
ansichtig wird. Dieser Phänomenbeschreibung können auch wir nur
zustimmen: auch wir haben die objektive Vergangenheit nur in der
Form der geschichtlichen und individuellen Erinnerung.
 
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