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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0030
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Ernst A. Schmidt

objektiven Zeit des Früher-und-Später, des Auseinander in der Suk-
zession) mit der menschlichen Zeit aus Zukunft, Gegenwart und Ver-
gangenheit verbindet.
Das daraufhin neu einsetzende Fragen nach der Messung führt
schließlich zu der Erkenntnis, daß ich in der Erinnerung etwas messe,
das dort nach dem Vorbeigehen sinnlicher Eindrücke eingeprägt
bleibt: „aliquid in memoria mea metior, quod infixum manet“ (conf.
11, 27, 35). Augustin fährt fort: „In te, anime meus, tempora metior.
[... ] affectionem, quam res praetereuntes (so hier statt „tempora prae-
tereuntia“ von conf. 11, 16, 21; vgl. dazu u.) in te faciunt et, cum illae
praeterierint, manet, ipsam metior praesentem“ (conf. 11,27,36). Zeit-
messung geschieht nur in der Erinnerung41, wie Augustin ausdrücklich
sagt. Das gilt also auch für die Zukunft42. Wie das vorzustellen ist, wird
im nächsten Kapitel behandelt werden.
Hier ist noch auf das Modell einzugehen, an dem Augustin die Zeit-
messung illustriert, sowie auf die Frage der Ausdehnung der Gegen-
wart. Das Beispiel ist das Singen und Hören eines Liedes. Und im
Zusammenhang mit dem Hören wechselt Augustin die im Kontext
der Präsenz gewählte Gegenwartsweise des „contuitus“ (entsprechend
der aristotelischen aiGÜrpu;) aus gegen „attentio“. Von dieser sagt er
nun: „et quis negat praesens tempus carere spatio, quia in puncto prae-
terit? Sed tarnen perdurat attentio, per quam pergat abesse quod ad-
erit“ (conf. 11, 28, 37). Die Erfahrung stimmt mit dem Denken nicht
überein. Augustin geht nicht so weit, ausdrücklich der Gegenwart oder
„attentio“ Ausdehnung zuzuschreiben („tenditur“, „distentio“ oder
„spatium“)43, sie zu messen oder gar lang zu nennen. Auch die „disten-
tio animi“ betrifft nur Erinnerung und Erwartung (conf. 11, 28, 38).
Aber er erkennt, daß Zukunft und Vergangenheit nicht abstandslos
einander berühren, daß der Übergang der Zukunft in Vergangenheit
kein punktueller Umschlag und die Gegenwart nicht eine diskonti-
41 Der Übergang von „in memoria“ zu „in te, anime meus“ im obigen Zitat ist durch
die in Buch X demonstrierte Synonymität möglich geworden, „animus“ und
„anima“ sind in der Zeitanalyse des elften Buches durchgehend synonym mit
„memoria“, auch im Zusammenhang mit Gegenwart und Zukunft, auch als Raum
und Seinsweise aller drei Zeiten, auch in der Definition der „distentio animi“. Vgl.
unten.
42 Vgl. Sauter, Zukunft, S. 24f.
43 Vgl. jedoch conf. 11, 27, 34: „praeteriens (sc. vox) [...] tendebatur in aliquod spa-
tium temporis“ (vgl. dazu u.). Dennoch ist Messung nicht möglich und bleibt Augu-
stin bei der Feststellung: „praesens nullum habet spatium“.
 
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