Zeit und Geschichte bei Augustin
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Verräumlichung geistiger und zeitlicher Prozesse wunderbar gelun-
gen. Aber dort, wo die Denktradition ihn im Stich ließ, bei der Präsenz
des Zukünftigen in der Seele und dem Inhalt der zu messenden Aus-
dehnung in die Zukunft, da hat er keine Raum- und Personalmeta-
phern gesucht oder gefunden.
Was Augustin zur,Messung4 zukünftiger Zeit sagt, ist dies (conf. 11,
28, 38): „Ich will ein Lied singen, das ich kenne; bevor ich anfange,
spannt sich meine Erwartung auf das ganze (Lied) aus“. Die künftige
Dauer des bekannten - das ist eigens betont („quod novi“) - Liedes ist
aus der Erinnerung bekannt. Hat nun das Singen begonnen und ist die
„actio“ unterwegs, indem sich „ihr Leben ausspannt in Erwartung,
Aufmerksamkeit und Erinnerung“ („distenditur vita huius actionis
meae [... ]“), so geschieht die,Messung4 der zukünftigen Zeitdauer des
Singens durch jeweilige Subtraktion der Erinnerungsausspannung
(Vergangenheit des gesungenen Teils) von der Gesamtausspannung
der (aus früherer Erfahrung gewonnenen) Erinnerung der Zeitdauer
des ganzen Liedes.
Noch unmittelbarer ist der Vergangenheits- und Erinnerungs-
charakter der Zeitmessung in die Zukunft hinein im Zusammenhang
der „praemeditatio“ eines hervorzubringenden längeren Tons, worin
auch unsere obige Überlegung (S. 34) zu „praemeditatio“ und Erinne-
rung ihre Bestätigung findet. „Wenn einer einen etwas längeren Ton
hervorbringen will und vorausbedenkend festsetzt, wie lang er sein
wird, so hat er jedenfalls einen Zeitabschnitt schweigend verbracht,
und indem er ihn (diesen Zeitabschnitt) dem Gedächtnis anvertraut,
beginnt er [...]“ (conf. 11, 27, 36). Die „praemeditatio“ erscheint hier
sogar als ein (schweigender) Akt gleicher zeitlicher Länge wie die
geplante Handlung zum Zweck der Erzeugung (mit der Affektion
durch eine innere Wahrnehmung) des Erinnerungsabdrucks (des Bil-
des samt Dauer), in den dann die Aktion in ihrem Durchgang durch
die Gegenwart hineingefüllt werden kann, bis die Zukunft verbraucht,
d. h. die Spur voll ist58.
Vergils zumal die biblische Rede vom Herzen oder Inneren als Tempel und Woh-
nung Gottes zu wirken. Vgl. dazu mag. 2 (CSEL 77, p. 4,23-5,7): „mentis penetra-
lia“, „in templo mentis et in cubilibus cordis“; conf. 1, 5, 6 (p. 4,24); 2, 3, 6 (p. 28,11
sq.); 8, 8, 19 (p. 169,5-7); 11, 3, 5 (p. 267,10 sq.).
58 Übrigens liegt hier außerdem (gegen conf. 11, 26ff., 33 ff.) die Vorstellung der Mes-
sung gegenwärtiger und vorübergehender Zeit vor (wenn die Messung auch de
facto erst in der „memoria“ erfolgt). - Ist wirklich „iste“ und nicht vielmehr „egit
utique istud spatium temporis“ zu lesen?
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Verräumlichung geistiger und zeitlicher Prozesse wunderbar gelun-
gen. Aber dort, wo die Denktradition ihn im Stich ließ, bei der Präsenz
des Zukünftigen in der Seele und dem Inhalt der zu messenden Aus-
dehnung in die Zukunft, da hat er keine Raum- und Personalmeta-
phern gesucht oder gefunden.
Was Augustin zur,Messung4 zukünftiger Zeit sagt, ist dies (conf. 11,
28, 38): „Ich will ein Lied singen, das ich kenne; bevor ich anfange,
spannt sich meine Erwartung auf das ganze (Lied) aus“. Die künftige
Dauer des bekannten - das ist eigens betont („quod novi“) - Liedes ist
aus der Erinnerung bekannt. Hat nun das Singen begonnen und ist die
„actio“ unterwegs, indem sich „ihr Leben ausspannt in Erwartung,
Aufmerksamkeit und Erinnerung“ („distenditur vita huius actionis
meae [... ]“), so geschieht die,Messung4 der zukünftigen Zeitdauer des
Singens durch jeweilige Subtraktion der Erinnerungsausspannung
(Vergangenheit des gesungenen Teils) von der Gesamtausspannung
der (aus früherer Erfahrung gewonnenen) Erinnerung der Zeitdauer
des ganzen Liedes.
Noch unmittelbarer ist der Vergangenheits- und Erinnerungs-
charakter der Zeitmessung in die Zukunft hinein im Zusammenhang
der „praemeditatio“ eines hervorzubringenden längeren Tons, worin
auch unsere obige Überlegung (S. 34) zu „praemeditatio“ und Erinne-
rung ihre Bestätigung findet. „Wenn einer einen etwas längeren Ton
hervorbringen will und vorausbedenkend festsetzt, wie lang er sein
wird, so hat er jedenfalls einen Zeitabschnitt schweigend verbracht,
und indem er ihn (diesen Zeitabschnitt) dem Gedächtnis anvertraut,
beginnt er [...]“ (conf. 11, 27, 36). Die „praemeditatio“ erscheint hier
sogar als ein (schweigender) Akt gleicher zeitlicher Länge wie die
geplante Handlung zum Zweck der Erzeugung (mit der Affektion
durch eine innere Wahrnehmung) des Erinnerungsabdrucks (des Bil-
des samt Dauer), in den dann die Aktion in ihrem Durchgang durch
die Gegenwart hineingefüllt werden kann, bis die Zukunft verbraucht,
d. h. die Spur voll ist58.
Vergils zumal die biblische Rede vom Herzen oder Inneren als Tempel und Woh-
nung Gottes zu wirken. Vgl. dazu mag. 2 (CSEL 77, p. 4,23-5,7): „mentis penetra-
lia“, „in templo mentis et in cubilibus cordis“; conf. 1, 5, 6 (p. 4,24); 2, 3, 6 (p. 28,11
sq.); 8, 8, 19 (p. 169,5-7); 11, 3, 5 (p. 267,10 sq.).
58 Übrigens liegt hier außerdem (gegen conf. 11, 26ff., 33 ff.) die Vorstellung der Mes-
sung gegenwärtiger und vorübergehender Zeit vor (wenn die Messung auch de
facto erst in der „memoria“ erfolgt). - Ist wirklich „iste“ und nicht vielmehr „egit
utique istud spatium temporis“ zu lesen?