Metadaten

Seebaß, Gottfried; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 4. Abhandlung): Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura von Lukas Cranach d. Ä.: zur Reformation e. Holzschnitts ; vorgetragen am 15. Dezember 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47818#0049
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura

47

zes durch Mitleidung, Nachfolgung und ewiges Gedächtnis.73 Selbst
wenn das noch einmal andere Tugenden sind, als die hier genannten,
dürften doch Traditionen der Demuts-, der Tugend- und der Passions-
leiter im Hintergrund unserer Darstellung stehen. Allerdings scheint
mir bei ihr der 'bürgerliche’ und vielleicht auch humanistische Charak-
ter der Cranachschen Himmelsleiter deutlich hervorzutreten: Ver-
bindet sie doch mit dem Hinweis auf Maß im Glück und Geduld im
Unglück christlich angeeignete Traditionen antiker Tugendlehre mit
der asketisch christlichen in Weltverachtung, Geringschätzung der
eigenen Person und humilitas. Die hier genannten Tugenden sind
jene, denen wir in der ersten Dekade des 16. Jahrhunderts etwa bei
dem Nürnberger Ratsschreiber Lazarus Spengler und seinem Freund
Albrecht Dürer begegnen.74 Man wird daher bei der Suche nach den
literarischen Vorbildern der Cranachschen Himmelsleiter nicht weit
in das 15. Jahrhundert zurückgehen müssen. Und die Vermutung von
Koepplin, daß hier auch der Einfluß von Johann von Staupitz im
Hintergrund stehen könnte, ist nicht abwegig.75
Die Leiter, die von der Erde zum Himmel reicht, verbindet auch
die Darstellung der Himmelsleiter mit der der Hölle. Auf dem
Schriftband, das die beiden Gruppen der Seligen im Himmel umgreift,
heißt es nämlich: „Die weit haben wir gelassen vnd dise leittern gesti-
gen all, darumb frewen wir vns ewigklich mit gotj’n himelischen jubel-
schall.“ Diese Inschrift bestätigt unsere frühere Deutung. Nicht um
Fürbitte geht es, sondern hier sind die gemeint, die nach Apk 7,8 das
Lob ‘unserm Gott und dem Lamm’ singen. An der Leiter orientiert
sich aber auch der über der Hölle stehende Text: „Wir haben an [Drf.
für: in] vnsern leben nicht wollen dy hymlische leitter st[e]igen/
darumb wir gefallen jn die Hell müssen bey dem teuffel ewig bleiben.“
Damit ergibt sich einerseits ganz eindeutig, daß es im unteren Holz-
schnitt nicht etwa um ein im Sinne von I Kor 3,15 und I Petr 1,7 pur-
gierendes Feuer, sondern eben um den endzeitlichen Feuerpfuhl geht,
von dem in Apk 20,10 die Rede ist. Der mit Himmel und Hölle
bezeichnete doppelte Ausgang der Heilsgeschichte unterstreicht den
Ernst der vor dem Menschen mit der Leiter aufgerichteten Wahl und
Entscheidung.
73 Vgl. Hoffmann, Dürers Darstellungen der Höllenfahrt Christi, bes. S. 98-101 mit
reichen Literaturangaben.
74 Vgl. Seebaß, Dürers Stellung in der reformatorischen Bewegung, S. 109 f; Maurer,
Der junge Melanchthon 2, S. 32.
75 Vgl. Koepplin/Falk, Cranach 2, S. 462.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften