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Eugen Biser
der Anstöße zur Verschriftung und der Transformation gelegen, die das
gesprochene Wort dabei erfuhr. Dabei bringt es eine geradezu paradoxe
Verschränkung der Fakten mit sich, daß bei der Erkundung des Vor-
gangs zugleich auf die literarische Leistung der Autoren zu achten ist,
denen doch die Qualifikation als Schriftsteller durch die Zuspitzung der
historischen Kritik zur redaktionsgeschichtlichen Methode weitgehend
aberkannt worden war.30 Nicht umsonst blieb es dem theologischen Au-
ßenseiter Walter Jens vorbehalten, geleitet von seiner literarischen
Sensibilität und seinem Verständnis medialer Umsetzungsprozesse, aus
der Engführung dieser Perspektive auszubrechen und die Frage nach
der Rolle der Evangelisten als Schriftsteller in aller Form aufzuwerfen.31
Und schon die Antwort, die er auf die an den Passionsbericht des ersten
Evangelisten gerichtete Frage gibt, bestätigt eindeutig das Recht seines
Ansatzes. Weshalb, so fragt er, verzichtet der Evangelist darauf, „Jesus
zum Subjekt dieser letzten großen Szene zu machen?“ Weshalb nur
diese wenigen, teils sogar mißverständlichen Worte auf der einen und
diese Fülle der Aktionen auf der anderen Seite? „Warum diese schroffe
Antithese zwischen den vielen aktiven und mobilen Subjekten und dem
in eine brüllende Kreatur verwandelten Objekt am Kreuz?“ Darauf die
Antwort:
Wiederum kommt es dem Erzähler darauf an, auf einer und derselben Berichts-
Ebene zu verdeutlichen, daß der Eine, um den es hier geht, gerade in diesem Augen-
blick, wo er scheinbar ganz und gar der Welt verfallen ist - nicht einmal Mensch mehr,
sondern schon Kadaver; daß dieser Eine in Wahrheit der Andere ist. Darum Jesu
Schweigen; darum seine Worte über die Menschen hinweg, darum der Schrei zum
Himmel, darum der Monolog am Kreuz. Hier ist eine Grenze gesetzt zwischen den
Subjekten und dem Objekt, den Vielen und dem Einen, den Menschen und dem
32
Anderen, die nicht verwischt werden darf.
spricht für die Annahme, daß es ihm darum zu tun war, einer möglichen Fesselung
seiner Anhänger an den starren Buchstaben, wie sie ihm bisweilen in seinen gelehrten
Gegnern entgegentrat, vorzubauen, weil er sich alle Wirkung von der offenen Kommu-
nikation versprach (125).
30 Zimmermann, Neutestamentliche Methodenlehre, 215-230.
31 W. Jens, Die Evangelisten als Schriftsteller, in: H.J. Schultz (Hrsg.), „Sie werden
lachen - die Bibel“. Erfahrungen mit dem Buch der Bücher, München 1985, 114-124.
32 Jens, A.a.O., 122f. (gekürzt). Der von Franz Overbeck entfesselte Streit, ob die
Evangelien der Literatur zuzurechnen sind (Über die Anfänge der patristischen Litera-
tur, von 1882, 417ff.), ist damit, wie schon Eduard Norden vermutete (Agnostos
Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, von 1913, 306f.), ein-
deutig zugunsten der Evangelien - und erst recht der Paulusbriefe - entschieden. Das
theologische Gewicht der zitierten Stelle wird vollends fühlbar, wenn man sie auf das
zu Beginn des Abschnitts mitgeteilte Gadamer-Zitat zurückbezieht.
Eugen Biser
der Anstöße zur Verschriftung und der Transformation gelegen, die das
gesprochene Wort dabei erfuhr. Dabei bringt es eine geradezu paradoxe
Verschränkung der Fakten mit sich, daß bei der Erkundung des Vor-
gangs zugleich auf die literarische Leistung der Autoren zu achten ist,
denen doch die Qualifikation als Schriftsteller durch die Zuspitzung der
historischen Kritik zur redaktionsgeschichtlichen Methode weitgehend
aberkannt worden war.30 Nicht umsonst blieb es dem theologischen Au-
ßenseiter Walter Jens vorbehalten, geleitet von seiner literarischen
Sensibilität und seinem Verständnis medialer Umsetzungsprozesse, aus
der Engführung dieser Perspektive auszubrechen und die Frage nach
der Rolle der Evangelisten als Schriftsteller in aller Form aufzuwerfen.31
Und schon die Antwort, die er auf die an den Passionsbericht des ersten
Evangelisten gerichtete Frage gibt, bestätigt eindeutig das Recht seines
Ansatzes. Weshalb, so fragt er, verzichtet der Evangelist darauf, „Jesus
zum Subjekt dieser letzten großen Szene zu machen?“ Weshalb nur
diese wenigen, teils sogar mißverständlichen Worte auf der einen und
diese Fülle der Aktionen auf der anderen Seite? „Warum diese schroffe
Antithese zwischen den vielen aktiven und mobilen Subjekten und dem
in eine brüllende Kreatur verwandelten Objekt am Kreuz?“ Darauf die
Antwort:
Wiederum kommt es dem Erzähler darauf an, auf einer und derselben Berichts-
Ebene zu verdeutlichen, daß der Eine, um den es hier geht, gerade in diesem Augen-
blick, wo er scheinbar ganz und gar der Welt verfallen ist - nicht einmal Mensch mehr,
sondern schon Kadaver; daß dieser Eine in Wahrheit der Andere ist. Darum Jesu
Schweigen; darum seine Worte über die Menschen hinweg, darum der Schrei zum
Himmel, darum der Monolog am Kreuz. Hier ist eine Grenze gesetzt zwischen den
Subjekten und dem Objekt, den Vielen und dem Einen, den Menschen und dem
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Anderen, die nicht verwischt werden darf.
spricht für die Annahme, daß es ihm darum zu tun war, einer möglichen Fesselung
seiner Anhänger an den starren Buchstaben, wie sie ihm bisweilen in seinen gelehrten
Gegnern entgegentrat, vorzubauen, weil er sich alle Wirkung von der offenen Kommu-
nikation versprach (125).
30 Zimmermann, Neutestamentliche Methodenlehre, 215-230.
31 W. Jens, Die Evangelisten als Schriftsteller, in: H.J. Schultz (Hrsg.), „Sie werden
lachen - die Bibel“. Erfahrungen mit dem Buch der Bücher, München 1985, 114-124.
32 Jens, A.a.O., 122f. (gekürzt). Der von Franz Overbeck entfesselte Streit, ob die
Evangelien der Literatur zuzurechnen sind (Über die Anfänge der patristischen Litera-
tur, von 1882, 417ff.), ist damit, wie schon Eduard Norden vermutete (Agnostos
Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, von 1913, 306f.), ein-
deutig zugunsten der Evangelien - und erst recht der Paulusbriefe - entschieden. Das
theologische Gewicht der zitierten Stelle wird vollends fühlbar, wenn man sie auf das
zu Beginn des Abschnitts mitgeteilte Gadamer-Zitat zurückbezieht.