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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0035
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Die Bibel als Medium

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Einladung an die Bedrückten (11,28) und den abschließenden Missions-
befehl (28,18ff.) wiedergeben.58 Am deutlichsten treten diese vor allem
im Mattäusevangelium zu beobachtenden Verknappungstendenzen je-
doch bei der Wiedergabe einiger in der Markusversion erheblich breiter
ausgeführten Szenen (Mk 4,21-54 und Mt 9,18-26; Mk 9,14-29 und Mt
17,14-21) und der Gleichnisse in Erscheinung, die bisweilen (wie im Fall
des Gleichnisses vom Sauerteig: Mt 13,33 oder dem vom Guten Hirten:
Mt 18,12f.) zu einem einzigen Satz zusammengefaßt sind und auch im
Fall der ausführlicheren Fassungen auf eine weitaus umfangreichere und
dramatischer ausgeführte Urgestalt schließen lassen. Wenn man mit
Martin Kähler in den Evangelien Passionsgeschichten mit einer aus-
führlichen Einleitung erblickt, ist sogar die jeweilige „Vorgeschichte“
nach dem Prinzip der Abbreviatur gestaltet?9 Hier wie dort machte sich
dann der Evangelist eine strukturelle Tendenz der Schriftlichkeit für
seine didaktisch-kompositorischen Zwecke zunutze.
Wie die Passagen erkennen lassen, in denen die Paulusbriefe einzelne
Hauptmotive in großräumiger Steigerung ihrem Höhepunkt entgegen-
treiben, ist aber auch mit der gegenläufigen Tendenz der narrativen
Dehnung, also der Extension, zu rechnen. In den Evangelien entspricht
es wiederum der These Kählers, daß gerade die Passionsberichte nach
dem Motto „Verbum in cruce extensum“, wie eine Barockinschrift das
patristische Prinzip wiedergibt, gestaltet zu sein scheinen.60 Obwohl
man die Narrativität als Fortsetzung der Mündlichkeit mit textualen
Mitteln bezeichnen könnte, greift auch sie transformierend in die Bot-
schaft ein. In diesem Sinne „schreiben“ die Evangelien - mit einer Vor-
liebe für das Anekdotische und Szenische - das „fort“, was in der
mündlichen Tradition nur thetisch, meist in Form einprägsamer Bild-
58 Zur Frage nach Sinn und „Ort“ der in diesem Zusammenhang zu erwähnenden Sum-
marien siehe W. Grundmann, Das Evangelium nach Matthäus, Berlin 1971, 111.
59 So Kähler in seinem Vortrag ,Der sogenannte historische Jesus und der geschichtli-
che, biblische Christus' (von 1892); nach Vielhauer, Geschichte der urchristlichen
Literatur, 354. Von „geraffter Erzählweise“ und „Zeitdehnung“ im Johannesevange-
lium spricht Joachim Kügler, Der Jünger, den Jesus liebte. Literarische, theologische
und historische Untersuchungen zu einer Schlüsselgestalt johanneischer Theologie
und Geschichte, Stuttgart 1988, 108f.
60 Gemeint ist das von Franz Georg Hermann geschaffene Deckenfresko des Biblio-
theksaals der ehemaligen Prämonstratenserabtei Schussenried, das die Vielfalt der
Wissensgebiete im Sinn der programmatischen Inschrift „Verbum in carne abbrevia-
tum, in cruce extensum, in coelo immensum“ aufgliedert; dazu der Abschnitt „Die
Geburt des Glaubens aus dem Wort“ meines Sammelbandes ,Glaubensimpulse', 28-
46; ferner Exkurs II (35-48).
 
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